Du verurteilst andere, verletzt sie und handelst nicht wie Jesus

Ich danke herzlich für die eingehende Diskussion der letzten Tage und verschiedene Zuschriften, die ich erhalten habe. Sie regen mich zum Weiterdenken an. Hier sind sechs Einwürfe, die (auch) Licht auf die gesellschaftliche Umgebung werfen, die uns Christen stark beeinflusst.

  1. Einwurf: „Wie kannst du für deine Meinung absolute Gültigkeit beanspruchen? Der eine sieht die Sache so, der andere so.“
    Hinter dieser Denkweise steckt ein Dogma. Damit bezeichne ich eine erste, nicht weiter hinterfragbare Denkvoraussetzung. Diese lautet: Zwei gegenteilige Ansichten können gleichzeitig wahr sein. Das hängt damit zusammen, dass die Behauptungen vom Betrachter abhängig sind. Das tönt vordergründig sehr demütig, ist es aber nicht, im Gegenteil: Es ist eine Anmassung. Weshalb? Es gibt selbstverständlich verschiedene Ebenen von Ansichten. Ob ein Christ einen nagelneuen Mercedes fahren darf, gehört einer anderen Ebene an als die Frage, welche Elemente in einem Gottesdienst vorhanden sein bzw. nicht sein dürfen. Dies ist nochmals zu unterscheiden von Aussagen wie: „Gott begrenzt sich freiwillig selbst um der Entscheide von Menschen willen.“ Oder: „Alle Menschen werden am Ende in Jesus gerettet.“ Oder: „Gott braucht keine Genugtuung um der Sünde willen.“ Zu den drei letzten Fragen äussert sich die Bibel in solcher Klarheit, dass Wahrheit eindeutig festgestellt werden kann. Zu dieser äusseren Klarheit gesellt sich das innere Zeugnis des Heiligen Geistes. In zentralen Fragen des Glaubens zu behaupten, dass die Wahrheit letztlich betrachterabhängig sei, ist ein Paradigma der Aufklärung. Sie ordnet dem Verstand des Einzelnen die letzte Urteilskraft zu. Das kommt dem Bruch des Ersten Gebots gleich.
  1. Einwurf: „Diese oder jene Aussage verletzt mich.“
    Der Einwand der Verletzung deutet an, dass ein säkularer Tabubruch geschehen ist. Das heisst: Es wird öffentlich eine Meinung angesprochen, die aber gemäss geltender gesellschaftlicher Übereinkunft in den privaten bzw. persönlichen Raum gehört. Auch dahinter steckt ein Dogma. Gewisse Themen dürfen nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden. In der Regel wird dies exklusiv auf christliche, nicht aber auf andere religiöse (buddhistische, esoterische, säkulare) Leitsätze angewandt. Zudem weist der Einwand des Verletztseins auf den Stellenwert des Gefühls beim Einzelnen hin. Jemand hat darum treffend gesagt: Christen sollten die letzten sein, die auf den „Zug des Verletztseins“ aufspringen. Sie gründen ihre Identität nicht auf eigenen Rollen und Erwartungen, sondern ausserhalb ihrer selbst auf Christus. Wenn sie in das „säkulare Gejammere“ einstimmen, beginnen sie sich indirekt vor Diskussion und Veränderung (= Heiligung) zu immunisieren.
  1. Einwurf: „Du urteilst über andere. Das darf man nicht.“
    Diese Anklage geht aus den beiden ersten Einwürfen hervor. Weil zwei einander widersprechende Aussagen gleichzeitig wahr sein dürfen (müssen) und das Gefühl des Einzelnen über die Frage entscheidet, ein Argument öffentlich zuzulassen, ist ein Urteil nicht mehr zulässig. Das Interessante an diesem Einwand: Er bricht durch Selbstwiderspruch zusammen. Kein Urteil über andere fällen zu dürfen, ist in sich ein Urteil. Und nicht nur dies: Ein Generalurteil.
  1. Einwurf: „Alle (Nach-Evangelikale wie klassisch Evangelikale) verfolgen doch das gleiche Ziel.“
    Über Motive zu urteilen, steht mir nicht an. Das muss ich klar herausstellen. Wenn es jedoch darum geht, dass eine Person öffentlich im Internet über Dinge, die den Kern des Glaubens betreffen, eine – auch kirchengeschichtlich – nachweisbare Irrlehre weiterverbreitet, ist eine öffentliche, scharfe Verurteilung nicht nur angebracht, sondern geboten. Wenn eine Kirchgemeinde oder ein Verband nicht selbst sofort öffentlich reagieren und ein Lehrverfahren einleiten, ist das de facto eine Bestätigung der Irrlehre. Darunter leiden zuerst einmal die Schwächsten, die Suchenden und Neubekehrten. Beispiele aus der Vergangenheit zeigen auf, dass die Irrlehrer mit der Zeit eine Gefolgschaft gewinnen und Andersgesinnte hinausstossen. Wann für den Einzelnen es angebracht ist, eine solche Gemeinde zu verlassen, ist eine Frage der Weisheit. Schweigen ist jedoch, gerade in verantwortlicher Position, keine Lösung.
  1. Einwurf: „Jesus hätte anders reagiert.“
    Ich habe kaum eine Diskussion erlebt, wo eine solche Aussage detailliert mit der Bibel und vor allem dem Zusammenhang hinterlegt wurde. Timothy Keller sagt an einer Stelle sinngemäss, dass die Pharisäerhasser oft selbst die grössten Pharisäer seien. Fromm verpackte Skeptiker treffen meines Erachtens die Kennzeichen von Pharisäer: Sie bauen ausserhalb der Schrift neue Gesetzmässigkeiten und wollen andere darauf verpflichten.
  1. Einwurf: „Wir sind doch alles Christen.“
    Wer Ihm gehört, weiss allein Er. Es ist jedoch ein grosser Irrtum, dass Menschen, die in den Zentrallehren (besondere der Gotteslehre und der Lehre der Erlösung) grundsätzlich von der Aussage der Bibel abweichen, einfach unter demselben Dach gesehen werden können. Ich pflichte Gresham Machen bei: Es geht hier nicht um Spielarten des gleichen Glaubens, sondern um zwei grundsätzlich unterschiedliche Religionen. Anmassend? Höre dir diesen Audiobeitrag mit der dazugehörigen Darstellung an.

Einige schreiben mir: „Du bist im persönlichen Gespräch so nahbar und nett.“ (Originalzitat) Danke für die Blumen. Sag mir, wenn es nicht mehr so sein wollte. Weshalb äussere ich mich jetzt in dieser Schärfe? Weil es „um die Wurst“ geht! Darum. Seltsam, dass ich diese Diskussion eigentlich nur im frommen Kuchen führe. Vielleicht deshalb, weil die Fronten (äusserlich) noch nicht geklärt sind.

Über Hanniel Strebel (PhD)

Hanniel Strebel, * 1975, Betriebswirt & Theologe, glücklich verheiratet, fünf Söhne, Blogger - Autor - Selbstlerner

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