Das Herz des Evangeliums

Warum ist die Lehre, dass Jesus Christus stellvertretend starb so zentral und unaufgebbar für den christlichen Glauben? Greg Gilbert erklärt:

„Leider ist diese Lehre vom stellvertretenden Opfer vermutlich der Teil des christlichen Evangeliums, den die Welt am meisten hasst. Die Menschen empört der Gedanke, dass Jesus für die Sünde eines anderen bestraft wurde. Mehr als ein Autor hat dies „göttliche Kindesmisshandlung“ genannt. Und doch: Wenn wir das stellvertretende Opfer ablehnen, schneiden wir dem Evangelium das Herz heraus. Zwar gibt es in der Heiligen Schrift viele Bilder für das, was Christus mit seinem Tod bewirkt hat: Er gab uns ein Vorbild, schaffte Versöhnung und brachte den Sieg, um nur drei zu nennen. Doch unter all dem liegt die Realität, auf die all die anderen Bilder hinweisen: das stellvertretende Opfer. Das kann man nicht einfach auslassen – noch nicht einmal zugunsten anderer Bilder verharmlosen -, sonst übersät man die Landschaft der Heiligen Schrift mit unbeantworteten Fragen. Warum die Opfer? Was bewirkte dieses Blutvergießen? Wie kann Gott Sündern gnädig sein, ohne die Gerechtigkeit zunichte zu machen? Was kann es bedeuten, dass Gott Ungerechtigkeit und Übertretungen und Sünde vergibt und doch auf keinen Fall die Schuldigen ungestraft lässt (s. 2Mose 34,7)? Wie kann ein gerechter und heiliger Gott die Gottlosen rechtfertigen (s. Röm 4,5)?

Die Antwort auf alle diese Fragen findet sich am Kreuz von Golgatha, in Jesu stellvertretendem Tod für die Seinen. Ein gerechter und heiliger Gott kann die Gottlosen rechtfertigen, weil durch Jesu Tod Gnade und Gerechtigkeit miteinander ausgesöhnt wurden. Der Fluch wurde rechtmäßig vollzogen und wir wurden gnädig gerettet.“

Greg Gilbert, Was ist das Evangelium?, Waldems: 3L, 2011, 83f.

Dieser Blog-Beitrag von Wolfram Wobig erschien zuerst auf wobig.eu . Lies hier den Original-Artikel "Das Herz des Evangeliums".

Über Wolfram Wobig

Ich bin Jahrgang 1985, verheiratet mit Anne und Vater von zwei Kindern. Seit 2011 bin ich - nachdem ich in Gießen und Elstal Theologie studierte - Pastor einer evangelisch-freikirchlichen Gemeinde.

12 thoughts on “Das Herz des Evangeliums

  1. Daß Jesus „Stellvertreter-Tod“ für unsere Sünden die Menschen empört, trifft sicher nur auf eine Minderheit zu.
    Der sog. „moderne“ Mensch ist allerdings mehrheitlich inzwischen soweit säkularisiert, daß ihm die ganze „Angelegenheit“ völlig egal ist. Im Übrigen lehnt er es in seiner Selbstbestimmt-, Selbstverliebtheit und Emanzipation (von GOTT) grundsätzlich ab, überhaupt Sünder zu sein!
    Dem setzt unsere Kirche noch ein’s obendrauf, indem sie von der „Allversöhnung“ schwadroniert.
    Und wenn wir so wie so alle in den Himmel kommen, brauchen wir uns den ganzen Streß auf Erden doch gar nicht erst anzutun!

  2. Nur soviel hier zu Jesu Opfertod:
    Jesus Christus wusste ganz genau, worauf er sich da einließ und was auf ihn zukam. So verstehe ich auch seine Ansprache im Garten Getsemanae an seinen Vater – endend mit dem Satz „nicht mein sondern dein Wille geschehe“.
    Das ist offensichtlich keine Misshandlung des Sohnes Gottes – denn dieser ist erwachsen und fügt sich bewusst und freiwillig in das offenbar unvermeidbar Notwendige – sein Kreuzesopfer.
    Warum es offenbar keinen anderen Weg gab, bleibt zumindest für mich rätselhaft und geheimnisvoll.

    1. Zitat: „Warum es offenbar keinen anderen Weg gab, bleibt zumindest für mich rätselhaft und geheimnisvoll.“
      Wenn man jemanden wirklich kennenlernen will, muss man ihn von Innen heraus verstehen, d.h. man muss s e i n e n Standpunkt einnehmen, um die Welt so zu sehen und zu erleben, wie er sie erlebt.
      Da in Gott keine Sünde ist, weiß er nicht, wie es sich lebt in der Sünde. Durch Gethsemane und die Kreuzigung erfuhr er es.

      1. Tut mir leid, aber Ihre versuchte Erklärung überzeugt mich nicht.
        Nach meiner Auffassung stellen Sie sich Gott zu klein(kariert) vor, der bis zum Opfertod seines Sohnes sich den Zustand der Sünde (=Absonderung von Gott) nicht vorstellen konnte.
        Woher wollen Sie denn solches Wissen von Gott haben?
        Nein, das überzeugt mich nicht.
        Ich bleibe dabei, dass ich bei Weitem nicht alles von Gott und seinen Plänen wissen kann, wenn ER selbst es uns nicht offenbart.

          1. Nach meinem Urteil nehmen Sie den Mund reichlich voll:
            Selbst bei gottgefälligem Lebensstil ALLE Geheimnisse Gottes ergründen zu können, erscheint mir reichlich anmaßend – einer neuen Gnosis o.ä. anmutend.

  3. Was wäre, wenn Jesus nicht für unsere Sünden gestorben wäre? Wenn er allein zu Unrecht verurteilt worden wäre, als ein Opfer bloßen Hasses hingerichtet, ohne jegliche Bedeutung für die Menschheit, ohne die Theorie des Sühnetodes, auf dem sich nach Meinung mancher Theologen die ganze Christenheit aufbaut? Dieser Tage wurde die Debatte darum neu entfacht. Ein Kölner Pfarrer hatte anlässlich des Reformationsjubiläums in Frage gestellt, ob Jesus sterben musste, um uns von unseren Vergehen zu erlösen. Rasch entbrannte die Diskussion um ein Fundament christlichen Glaubens, das anzuzweifeln in den Augen einiger Kleriker wohl eher „Todsünde“ als ein Fakt freier Meinungsäußerung sein dürfte.

    Doch ohne jeglichen Belang war Jesu Tod für uns Menschen keinesfalls. Es war kein „Justizirrtum“, sondern ein vorsätzlicher Verrat und ein von durchtriebener Inhumanität geprägter Entschluss, ihn der puren Gewalt preiszugeben. Wäre Jesus heute noch unter uns, man hätte ihn „lediglich“ lebenslang ins Gefängnis geworfen. Und? Wäre die Menschheit dann auf ihrer Erbsünde sitzen geblieben, die von Paulus konstruiert nach den Geschehnissen im Paradies für ewig an den Spuren des Einzelnen haften würde? Und was hätte das für uns, für jeden von uns tatsächlich bedeutet? Können wir auf Gottes Sündenvergebung nur durch den Tod Jesu vertrauen?

    Brauchte es eine Genugtuung für die Versündigung des Menschen im Garten Eden? Konnte das Erliegen der Versuchung nur durch ein Opferlamm wieder aufgewogen werden? Und ließ Gott seinen Sohn nur deshalb leiden, um selbst spüren zu können, was Leid tatsächlich bedeutet? Mit diesem Konstrukt schafft die Theologie auf katholischer wie protestantischer Seite einen neuerlichen Spagat, ein Spannungsfeld zwischen einem mitfühlenden Gott einerseits, einem blutrünstigen Schöpfer, der sein eigenes Blut für die Versöhnung mit der Welt vergießen lässt, andererseits. Doch wie empathisch ist ein mitleidender Gott, der in seiner Allmacht das eigene Fleisch am Kreuze hängen lässt?

    Christi Tod offenbart uns die grenzenlose Gier des Menschen nach Macht, Einfluss und Unterdrückung. Wie die vielen Skandale in der Welt, die uns jeden Tag neu aufheulen lassen, so wurde auch er unschuldig in den Tod gesandt, ohne, dass Gott eingriff. So, wie er sich auch zurückhält, wenn heute politische Gegner in manch einem Staat gefoltert, gepeinigt und ermordet werden. Auf Golgatha wird viel eher die schreiende Ungerechtigkeit laut, die „Theodizée“-Frage, die niemand zu beantworten weiß. Jesu Ermordung ist Zeichen für die Unbarmherzigkeit des Menschen, nicht für den Leidensdurst Gottes.

    Gott braucht kein Menschenopfer, um jedem von uns ganz persönlich zu vergeben. Was sollten wir noch reuig sein und Buße tun, wenn durch den Tod Jesu all unsere Schuld vergolten wäre? Gedankliche Verwirbelungen sind nötig, um die Sühneopfertheologie zu verteidigen, eine Prämisse wird um jeden Preis aufrechterhalten, die mit dem Gottesbild der Christen doch allzu wenig gemein hat. Dass Adam und Eva nicht widerstehen konnten, Gott kann es ihnen selbst anlasten. Er wollte die Treue des Menschen zu ihrem Vater testen, doch er scheiterte mit dem Feldversuch, Liebe durch Prüfung zu erzwingen.

    Und trotzdem gab er sein Projekt nicht auf. Gott schuf Menschen wie die im Paradise, ohne dass die Bibel eindeutig erkennen lässt, wonach es einen Augenblick der Sühne gebraucht hätte. Viel eher ist es Gottes großer Liebesbeweis, dass er weitergemacht hat, dass er sich nicht aufhalten ließ von der negativen Erfahrung des Ungehorsams der beiden Geschöpfe. So, wie das Bild der Schmerzen einer gebärenden Frau nicht als Durchsetzung des Absolutheitsanspruches Gottes gewertet werden kann, der das weibliche Geschlecht bis heute für Evas Naivität straft, so ist Jesu Tod auch nicht Bedingung dafür gewesen, dass Gott uns all unsere Sünden vergibt.

    Wie viel logischer erscheint es doch, wenn er uns als freie Menschen eigenverantwortlich für unsere Fehltritte einstehen lässt. Dass es keine Koexistenz des sterbenden Jesu als Versöhner bedarf, der in Stellvertretung für des Geschöpfes Unvollkommenheit die Vergebung Gottes aushandelt, das macht er nicht nur in Matthäus 6,14 deutlich. Nicht durch den Tod Christi kommt Vergebung auf Erden, sondern dadurch, dass auch wir bereit sind, unserem Nächsten seine Sünden zu erlassen, wird Friede gestiftet unter den Völkern – und mit Gott. Dann wird er Gnade walten lassen mit denen, die schuldig geworden sind – aber bußfertig bleiben, ohne auf die Erlösung durch Jesus Christus zu warten.

    Wir nehmen unser Schicksal selbst in die Hand. Wir müssen Gottes Sohn nicht opfern, um mit uns mit unserem Schöpfer ins Reine zu kommen. Mit Jesus hat er allein ein Zeichen der Freundschaft, der Verbundenheit Gottes mit seinen Ebenbildern gesetzt. In ihm wird deutlich, dass er nicht unpersönlich herrscht und waltet, sondern uns kennt und liebt – als einer von uns. Jesu Schicksal, es steht viel eher für die Millionen Opfer menschlicher Willkür, für den grenzenlosen Egoismus von Vielen, den er nicht zu bremsen vermag. Denn Gott lässt uns leben in bedingungsloser Freiheit und Zuwendung. Er lässt geschehen, was nur wir verhindern können, doch er tröstet dort, wo wir unter uns selbst leiden müssen.

  4. Lieber Dennis Riehle,
    natürlich ist Gott immer der gleiche und hat keine menschlichen Emotionen. Deshalb wäre das Opfer Jesu um seinetwillen (also als angebliche Besänftigung seines Zornes) nicht notwendig gewesen, außer aus dem Grund, den ich bereits in meiner Antwort auf Augustin Vesper nannte.
    Das „Fleisch“, also der natürliche Mensch ist immer der Feind Gottes (Rö 8,7) und „tötet“ ihn immer auf die eine oder andere Weise (z.B. auch durch Ignoranz). Also der Antrieb zur Tötung ging von den gottlosen Menschen aus. Aber Jesus sollte einwilligen damit die Menschen Gottes grenzenlose Liebe kennenlernen, der Opferkult endgültig überwunden würde (in Lateinamerika fanden noch bis zur Eroberung massenhaft Menschenopfer statt, weil man nichts von Jesus wusste) und die Kluft, die besonders der jüdische Mensch empfand überwunden würde. Zudem sollte demonstriert werden, dass der Mensch, der aus dem Ewigen lebt alles „Fleischliche“ und damit alles Böse überwindet.

    Was die „Erbsünde“ betrifft, so hat diese Paulus nicht „erfunden“, sondern sie ist einfach ein FAKT:
    https://manfredreichelt.wordpress.com/2016/03/21/die-erbsuende/

    1. Schade, dass auf dem blog keine Kommentarfunktion vorhanden ist. Leider denken Sie zu sehr nach dem römischen Rechtsbegriff (de jure). Dabei aber geht es nicht in der Bibel. Unter „Gerechtigkeit“ versteht sie „Richtigkeit“. Wer Sünde tut, lebt also falsch, d.h. nicht seiner wahren Natur gemäß. Er lebt in „Illusionen“ (einfache Gemüter sprechen von „Lüge“). Nur wenn die Illusion, die den Blick auf die Wahrheit verdunkelt, aufgehoben wird, kann der Mensch wieder richtig leben. Dazu ist er aber auch „verpflichtet“, wenn er nicht im Tod bleiben will. Die Gnade befähigt ihn, vollkommen zu werden.

  5. Aus der Sicht Gottes ist der Mensch so tief gefallen, daß es nicht ausreicht, wenn Gott Lehrer und Propheten geschickt hat oder Tiere geopfert wurden, wie das im AT war, sondern Gott mußte selber durch Jesus, seinen Sohn Fleisch annehmen und einen gräßlichen Tod sterben, um die Menschen wieder mit IHM zu versöhnen. Auch selbst die Lehre Jesu allein hat nicht genügt, die Menschen zu erlösen. Letztlich werden wir das nicht begreifen mit unserem Verstand, wir können nur staunen und anbeten. Jesus hat ja selber gesagt, er sei das Opfer. Alle das ist aus LIEBE geschehen und nicht weil Gott wie viele Theologen meinen, so grausam war, seinen Sohn dem grausamen Tode zuzuführen. Paulus hat ja kommen sehen, daß eines Tages Irrlehrer kommen werden, die vieles umdeuten. Daher hat er ganz deutlich vom gekreuzigten Herrn gesprochen.
    Im übrigen haben diese Erfahrung, nämlich daß Jesu durch sein am Kreuz und auch schon vorher vergossenes Blut, Menschen von Sünden frei machen kann, schon Millionen Menschen gemacht, dazu brauchen wir keine falschen theologischen Lehren mehr. Die Altvorderen wussten sogar welches Leiden Jesus für welche Sünde erleiden musste. Jesus hat ja nicht nur am Kreuz gelitten, sondern auch schon bei der Geißelung, beim Kreuztragen usw. Auch dort hat er schon sein teures Blut vergossen, nur war der Höhepunkt bei der Kreuzigung.

    1. @Heinz Weber. Sie schreiben „Letztlich werden wir das nicht begreifen mit unserem Verstand, wir können nur staunen und anbeten.“

      Genau so sehe ich das auch.

      Die Passion Jesu Christi umfasst ja noch viel viel mehr als die Schmerzen bei Folter und Kreuzigung – z.B. Verspottung, Nacktheit vor aller Welt etc….

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