Was der meistzitierte Psalm im Neuen Testament über Jesus sagt

Ein Artikel von Justin Dillehay, der am 20.10.2020 unter dem  Titel „Jesus According to the New Testament’s Most Quoted Psalm“ auf thegospelcoalition.org erschienen ist. Übersetzt von Viktor Zander, mit freundlicher Genehmigung von The Gospel Coalition. (Download als .pdf)

Kein anderer Vers der hebräischen Bibel wird im Neuen Testament häufiger zitiert, als Ps. 110,1.  Doch damit nicht genug.  Fast ein ganzes Kapitel (Hebräer 7,11-28) widmet sich Vers 4 dieses Psalms als Kommentar. Bei ihrem Verständnis Jesu maßen die Apostel und Propheten maßen diesem messianischen Psalm eine sehr hohe Bedeutung bei.

Es wird sich für uns also lohnen, darüber nachzudenken, wie uns dieser Psalm den Messias vor Augen führt, den wir anbeten.

Der Messias als Davids Herr und König (Ps 110,1-3)

Wie viele andere Psalmen trägt auch Psalm 110 die Überschrift „Ein Psalm Davids“. Doch wahrscheinlich ist bei keinem anderen Psalm die Urheberschaft so bedeutend wie bei diesem. Sie ist deswegen bedeutend, weil David Israels menschlicher König und „Herr“ war – natürlich Jahwe untergeordnet. Und doch nennt David hier in Vers 1 jemand anderen seinen „Herrn“ – und zwar jemand anderen als Jahwe:

„Spruch des HERRN [Hebräisch = Jahwe] für meinen Herrn [Hebräisch = Adonai]: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde gemacht habe zum Schemel deiner Füße!“

David, der im Heiligen Geist spricht (Mt 22,43),[1] hört einem Gespräch zu. Es ist ein Gespräch zwischen zwei Personen. Den HERRN kennen wir. Aber wer ist dieser andere Herr, den Jahwe einlädt, zu seiner Rechten zu sitzen? Einer, den sogar David „meinen Herrn (Adonai)“ nennt?

Das ist ein Abschnitt, den Jesus verwendete, um die Schriftgelehrten und Pharisäer zum Schweigen zu bringen (Mt 22,41-46). Sie wussten, dass der Messias Davids Sohn sein würde. Aber dann konfrontiert Jesus sie mit Psalm 110,1 und fragt: „Wenn nun David ihn Herr nennt, wie ist er sein Sohn?“ (Mt 22,45). Heute kennen wir die Antwort. Christus ist „die Wurzel und das Geschlecht Davids“ (Offb 22,16), und „aus der Nachkommenschaft Davids gekommen dem Fleische nach, und als Sohn Gottes in Kraft eingesetzt … aufgrund der Totenauferstehung“ (Röm 1,3-4).

Aber mit der Auferstehung war es nicht zu Ende. Das Neue Testament lehrt, dass diese Einladung „zur Rechten Jahwes zu sitzen“, erfüllt wurde als Jesus zum Himmel aufstieg und sich setzte (1Petr 3,22; Hebr 1,3; 10,12; 12,2). Petrus argumentierte am Pfingsttag auf diese Weise:

„Denn nicht David ist in die Himmel aufgefahren; er sagt aber selbst: ‚Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde lege zum Schemel deiner Füße!‘“ (Apg 2,34-35)

Daraus zieht er folgende Schlussfolgerung: „Das ganze Haus Israel wisse nun zuverlässig, dass Gott ihn sowohl zum Herrn als auch zum Christus gemacht hat“ (Apg 2,36).

Das ist Jesus gemäß Psalm 110. Der auferstandene Herr und König, der auf dem Thron Davids sitzt (Lk 1,32; Apg 2,30), der „inmitten seiner Feinde herrscht“ (Ps 110,2), bis sie „zum Schemel seiner Füße gemacht“ sind (vgl. 1Kor 15,25).

Der Messias als ewiger Hohepriester (Ps 110,4)

Aber Psalm 110 stellt den Messias nicht einfach nur als Davids Herr und König dar. Er stellt ihn uns auch als unseren ewigen Hohepriester vor. Das sehen wir in Vers 4, wo David folgendes sagt:

„Geschworen hat der HERR, und es wird ihn nicht gereuen: ‚Du bist Priester in Ewigkeit nach der Weise Melchisedeks!‘“ (Ps 110,4)

Israels Priestertum begann mit Aaron und wurde über seine Nachkommen (aus dem Stamm Levi) weitervererbt. Als sich einige Jahrhunderte später die Monarchie bildete, wurden das Königtum und das Priestertum strikt getrennt halten. Niemand konnte sowohl König als auch Priester sein. Als König Usija versuchte, priesterliche Befugnisse an sich zu reißen, schlug Gott ihn mit Aussatz (2Chr 26,16-21).

Aber nun spricht David von einem, der sowohl König als auch Priester ist. Um ein Beispiel dafür zu finden, greift er auf jemanden zurück, der zeitlich vor dem Levitischen Priestertum kam: die geheimnisumwobene Gestalt Melchisedek, der in 1. Mose 14 abrupt auftaucht und wieder verschwindet, und der als „König von Salem“ und „Priester Gottes, des Höchsten“ bezeichnet wird (V. 18).

Ein großer Teil von Hebräer 7 widmet sich dem Nachsinnen über die Auswirkungen von Psalm 110,4. Drei bedeutende Punkte werden festgehalten.

1. Die zeitliche Einordnung.

Dieser Psalm wurde Jahrhunderte nach dem Einsetzen des levitischen Priestertums geschrieben und spricht von einem anderen Priester, der aus dieser vor-levitischen Ordnung auftritt. Diese Tatsache deutet an, dass „Vollendung [nicht] durch das levitische Priestertum erreicht“ werden kann (Hebr 7,11). Warum sonst sollte man das Gesetz ändern, indem man einen Priester aus einem anderen Stamm einsetzt (Hebr 7,12-14)? Die Ordnung Melchisedeks passt daher nicht zur späteren levitischen Ordnung. Wenn sie also zurückkommt, dann muss Levi weichen.

2. Das Wort „geschworen“

„Geschworen hat der HERR, und es wird ihn nicht gereuen: ‚Du bist Priester …‘“ (Ps 110,4)

Die Tatsache, dass Jesus „mit Eid“ zum Priester gemacht wurde, stellt ihn weit über die levitischen Priester, die „ohne Eid“ zu Priestern gemacht wurden (Hebr 7,20-22). Kurz zuvor hatte der Schreiber des Hebräerbriefs folgendes festgestellt: „Deshalb hat sich Gott, da er den Erben der Verheißung die Unwandelbarkeit seines Ratschlusses noch viel deutlicher beweisen wollte, mit einem Eid verbürgt“ (Hebr 6,17). Dasselbe gilt für Jesu Priestertum. Die Tatsache, dass er mit einem Eid zum Priester gemacht wurde, sorgt dafür, dass „Jesus auch eines besseren Bundes Bürge geworden [ist]“ (Hebr 7,22).

3. Der Ausdruck „in Ewigkeit“

„Du bist Priester in Ewigkeit nach der Weise Melchisedeks!“ (Ps 110,4)

Und wieder steht das im Gegensatz zum levitischen Priestertum. Es war nicht nur so, dass das Priestertum des alten Bundes als Ganzes zeitlich begrenzt war, sondern dasselbe galt auch für jeden einzelnen Priester. Der Grund dafür, warum sie „in größerer Anzahl Priester [geworden sind]“, liegt darin, dass „sie durch den Tod verhindert waren [im Amt] zu bleiben“ (Hebr 7,23). Aber nun „steht gleich dem Melchisedek ein anderer Priester auf, der es nicht nach dem Gesetz eines fleischlichen Gebots geworden ist, sondern nach der Kraft eines unauflöslichen Lebens“ (Hebr 7,15-16).

Dieses „unauflösliche Leben“ ist ein Bezug auf Jesu Leben nach der Auferstehung, und es ist eine Erinnerung daran, dass der Hebräer-Brief Jesus Priestertum als etwas sieht, worauf er sich auf Erden vorbereitet hatte, welches er jedoch im Himmel ausübte, wo „er immer lebt, um sich für uns zu verwenden“ (Hebr 7,25; vgl. 5,7-10). Das passt dazu, was wir in Psalm 110 sehen, der damit beginnt, dass der Priester-König eingeladen wird, zur Rechten des HERRN im Himmel zu sitzen.

Ein Psalm über den Messias voller fester Speise

Wenige Psalmen haben größeren Einfluss auf die Schreiber des Neuen Testaments, keiner wird so oft zitiert. Achte einmal darauf, dass du wenn du davon liest, dass Jesus „zur Rechten Gottes“ ist, jedes Mal ein Echo von Psalm 110,1 hörst (Mt 26,64; Mk 14,62; Lk 22,69; Apg 5,31; 7,55-56; Röm 8,34; Eph 1,20; Kol 3,1).

Oder bedenke, welch großer Teil der ausführlichen Lehre des Hebräerbriefs über Jesu himmlisches Priestertum sich darauf stützt, dass Psalm 110,4 Jesus mit Melchisedek verbindet – der einzige Abschnitt im Alten Testament, der das tut. Es scheint sogar so, dass Psalm 110,4 die „feste Speise“ ist, auf die der Schreiber sich in Hebräer 5,13-14 bezieht, welche er darzulegen beginnt (Hebr 5,9-10), unterbrochen von einer Ermahnung seiner Leser (Hebr 5,11-14) und der er sich in Hebräer 6,20 wieder zuwendet.

Kurz zusammengefasst: Wie viel dir dieser Psalm bedeutet, könnte sehr gut ein Hinweis auf deine geistliche Reife sein. Lassen wir ein solches Festmahl nicht in den Müll wandern. Lasst uns stattdessen schmecken und sehen, dass der Herr gütig ist (Ps 34,9).

Justin Dillehay (MDiv, The Southern Baptist Theological Seminary) ist Pastor der Grace Baptist Church in Hartsville, Tennessee, wo er mit seiner Frau Tilly und seinen Kindern Norah, Agnes und Henry lebt. Er ist Teil des Redaktions-Teams bei The Gospel Coalition.

[1] Was David selbst gemäß 2. Samuel 23,2 auch wusste (Anm. d. Übersetzers).

Über Sergej Pauli

Hallo, ich bin Sergej Pauli, Jahrgang 1989 und wohne in Königsfeld im Schwarzwald. Ich bin Ingenieur, verheiratet, habe vier Kinder. Diesen Blog möchte ich nutzen, um über das Wort Gottes und seine durchdringende Wirkung bis in unsere Zeit zu schreiben. Hast du bestimmte Fragen oder Anliegen, dann scheue dich nicht, mich zu kontaktieren. Hast du bestimmte Fragen oder Anliegen, dann scheue dich nicht, mich zu kontaktieren.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.