Du hast es dir lange überlegt, viel darüber nachgedacht und irgendwann hast du es durchgezogen: Dein Rückzug aus der christlichen Gemeinde. Und du hast gemerkt, das Leben geht weiter. Der Bäcker backt weiter die Brötchen, die Sonne geht jeden Morgen auf. Ein bisschen warst du darüber verblüfft, dass doch relativ wenige Anrufe kamen, die nach dir gefragt haben. Der Pastor sowieso nicht, eben die zwei, drei üblichen Verdächtigen, denen hast du gefehlt. Anfangs hat es gar keiner bemerkt, dass du dich aus der Gemeinde zurückgezogen hast. Sie dachten, du wärst vielleicht auf einem Urlaub oder einer längeren Reise oder einer Fortbildung. Aber irgendwann war auch dem Letzten und insbesondere dir selbst klar, dass du dich von der christlichen Gemeinde zurückgezogen hast und die Gründe sind vielfältig wie ein bunter Blumenstrauß.
Gründe für den Rückzug
Die häufigsten Gründe für Rückzug sind mangelnde freundschaftliche Beziehungen. Mangelndes einander Kennenlernen und ein Angenommensein, das man als Freundschaft empfindet. Wenn der Kontakt zu den Gleichgesinnten zu sehr an der Oberfläche bleibt, wenig herzlich ist und nach Monaten noch fremdelt, verlassen viele wieder die christliche Gemeinde, nicht den christlichen Glauben, aber die Gruppe derjeniger, die sich explizit wegen Jesus Christus trifft.
Es gibt viele Gemeinden im Land, und ich meine, es ist manchmal einfach dran die Gemeinde zu wechseln, insbesondere wenn die Gemeindeleitung nicht mehr die zeitlosen Worte der Bibel lehren will, sondern stattdessen irgendwelche artfremden Eier ausbrütet und unters Volk bringt als Weisheit letzter Schluss. Christen versammeln sich immer um Christus. Es ist nicht verwunderlich, dass eine Gemeinde ihre Mitglieder verliert, wenn es dem Prediger peinlich ist, Gottes Wort in seiner Breite und Vielfalt zu verkündigen.
Aber davon abgesehen gibt es andere Gründe, warum Christen ihrer Gemeinde den Rücken zukehren. Und es tut mir leid, wenn ich sehe, wie sie nach ihrem Rückzug für sich alleine zu Hause leben ohne Anschluss an irgendeine Gruppe von Christen, einfach isoliert.
Ja, ich kann verstehen, dass sich jemand nicht wiederfindet in 500 oder 50 Jahre alten Liedern mit Texten, die scheinbar heiliger sind als die Bibel, denn sie dürfen niemals an heutiges Deutsch angepasst werden. Ich verstehe sehr gut, wenn mir einer sagt, dass er die immer gleichen Predigten nicht mehr hören mag, die doch nur dazu dienen, Christen darin zu bestätigen, dass sie die einzig Richtigen sind im Land voller Ungerechtigkeit. Ich kann verstehen, dass sich einer mit Entsetzen abwendet von einer Gruppe von Scheinheiligen, die immer dann eine Sondermitgliederversammlung einberuft, wenn die Finanzen nicht mehr ausreichend sind für die Gehälter der Pastoren oder die Gebäude aber keinesfalls weil sie ihre Betroffenheit über die Gottesferne unserer ganz gewöhnlichen Bevölkerung dazu treibt.
Dein Rückzug aus der christlichen Gemeinde
Du hast hinter die Kulissen gesehen und Fehler gefunden, wie sie bei Menschen normal sind. Wenn du verheiratet bist, findet dein Partner bei dir genau dieselben Probleme, denn du bist auch nicht besser. Aber du hast dich zurückgezogen. Du hast deinen Rückzug begründet und diese Begründung scheint dir ausreichend. Deine Hand liegt auf dem Tisch und das Recht ist auf deiner Seite.
Ab und zu eine christliche Predigt, dein christlicher Freund und dein Andachtsbuch werden dir helfen, dass dein Glaube nicht erstickt wird wie eine Flamme ohne Luftzug.
Diese Bedenken habe ich bei deinem Rückzug! Obwohl du in vielen Punkten Recht hast, habe ich Bedenken, weil du jetzt alleine bist mit deinen Fehlern, weil du niemanden hast, der um dich ist, der dich sieht. Um den du dich kümmern müsstest.
Du warst auch in der Kirche zunehmend alleine, und dennoch war da immer eines dieser Bibelworte, das dich angesprochen hat. Völlig abseits der Auslegungsabsicht der Predigt hat Gott dich erreicht. Du warst wie ein abseits gelegenes Dorf außerhalb der Nahverkehrszone, das dennoch erreicht wurde vom Bus der Liebe Gottes.
Ja, du wurdest immer wieder verletzt, das lag auch an deinen falschen Erwartungen – wie wäre es, wenn du anfingst, selbst auf andere zuzugehen, andere anzusprechen? Vielleicht sprichst du genau diejenigen an, die sich ab morgen auch schon zurückziehen werden von dieser Gemeinde? Gemeinde leidet unter Rückzug.
Gemeinde ist nicht die Vorherrschaft irgendwelcher Ältester und Leiter,
sondern die Zusammenkunft der Christen, der Gläubigen. Deswegen sehe ich auch nicht den größten Unfall darin, dass du dich zurückgezogen hast, sondern dass du es nicht mehr wagst, dich neu zu investieren, zugehörig zu sein zu denen am Leib Christi.
Die anderen sind dir zu seltsam?
Du bist zu seltsam?
Gott liebt diesen seltsamen Menschen, der schräg vor dir sitzt und dessen Lebensgeschichte einfach nur furchtbar ist. Er bekommt sein Leben nicht auf die Reihe, erzählt stets und ständig von seinen Problemen, er hört selber kaum zu. Er gehört zur Gemeinde.
Sie erzählt immer von ihren Krankheiten, von denen sie so viele hat, dass sie ein eigenes Ärzteteam beschäftigen könnte. Du wusstest gar nicht, dass sich so viel Leid in einem einzigen Menschen vereinigen könnte. Sie gehört zur Gemeinde.
Er erzählt überhaupt nichts, sitzt nur da beim Gemeindekaffee danach und wenn ein Wort aus ihm herauskommt spricht er über seinen Schrebergarten und über die böse schlechte Gesellschaft.
Einer ist seit seinem Studium arbeitslos, vielleicht wird es nie anders werden, weil das Studium ein Arbeitslosenstudium war. Er ist ein Bruder.
Die vorne sitzt ist immer erfolgreich, ihr geht es immer gut. Sie ist bei allen beliebt, sie gehört zur Gemeinde.
In der vierten Reihe siehst du die afrikanische Frau, sie kommt immer alleine, weil ihr Mann nicht an Gott glaubt. Sie wirkt immer etwas überschwänglich wenn sie singt oder wenn sie irgendwas erzählt.
Oder der Rentner, der immer hinten sitzt, der früher Gastronomie geleitet hat und aus diesem langen Erfahrungsschatz fast alle Menschen kennt. Er ist die Ruhe selbst, so erfahren, so abgeklärt. Er glaubt an Gott.
Die eine Frau, die ihre tiefe Dankbarkeit Gott gegenüber zum Ausdruck gebracht hat, weil die Chemotherapie und das Gebet den Krebs entfernt haben. Du hoffst zu Ihren Gunsten, dass sie länger als nur 5 Jahre lebt.
Dann die Frau, die immer fröhlich ist. Sie ist ganz anders als du, sie ist immer fröhlich und erklärt, dass ihre Kindheit ganz anders war. Das erklärt vieles.
Du kommst in diese Gruppe voller Menschen. Der alte Mann, der immer dieselbe Geschichte erzählt, wie Gott seiner finanziellen Notsituation begegnet ist und er als Bestätigung Gottes den Regenbogen sah. Und jedes Mal, wenn er es dir erzählt, ist es, als hätte er Tränen in den Augen und du bist berührt.
Dann die alte Frau, sie ist schon über 70 Jahre, die genau das erlebte, was der Mann Gottes Elia betete, dass es nach jahrelanger Trockenheit wieder regnen sollte. Du hörst ihre Geschichte, sie erlebte genau dasselbe. Du fasst es nicht.
In der Gemeinde sind so viele Kommende und Gehende, Wandernde und Bleibende.
Der junge Mann, der nichts anderes sucht als Zuwendung für seine verletzte Seele, der sich offensichtlich ritzt und eine Armee von Seelsorgen beschäftigt mit seinen schier unlösbaren Problemen. Sie kümmern sich und beten, dennoch bringt er sich um.
Die Frau mit den Krücken, die schwergängig vorwärts kommt aber um sich herum verbreitet sie Hoffnung, sogar Mut.
Die unsichere Frau, die bis heute nicht geheiratet hat, weil sie immer nicht wusste, ob sie sich auf so etwas Schwieriges wie einen Mann einlassen sollte, außerdem dachte sie, nur für Gott zu leben ist auch gut. Aber irgendwie auch nicht so leicht.
Dann der Mann, der niemals Arbeit findet, weil er sich zu Höherem berufen fühlt und niemals unterhalb seiner Qualifikation anfangen würde, geschweige denn, sich die Hände mit irgendwas beschmutzen würde. Aber er ist ein Segen für die Gemeinde, denn er kümmert sich um so viele.
Dann die Frau, die so schön singt, wenn sie denn singt.
Das alles und noch viel mehr ist in der christlichen Gemeinde, das sind die Menschen, diese komischen Menschen. Gott hat sie lieb, Gott hat dich lieb. Weißt du, wer du bist? Bist du sein Kind?
Dieser Blog-Beitrag von Rolf Oetinger erschien zuerst auf jesus-blog.de . Lies hier den Original-Artikel "Rückzug aus der Gemeinde".
Vieles an diesem Artikel berührt mich tief. Weite Passagen zeugen von einem großen Verständnis und Mitgefühl gegenüber Personen, die von anderen vielleicht nur ignoriert oder verachtet werden. Als jemand, der selbst kürzlich wieder einmal einer christlichen Gemeinde (aber nicht der christlichen Gemeinde als Ganzes) den Rücken gekehrt hat und zur Zeit keiner offiziell verfassten Gemeinde angehört, fühle ich mich erst einmal verstanden.
Leider kommt aber auch dieser Artikel nicht ohne Schuldzuweisungen gegenüber denjenigen aus, die vor allem erst einmal Opfer sind. Dazu ein paar Kommentare von mir zu verschiedenen Abschnitten:
Ich habe hinter die Kulissen gesehen und Fehler gefunden. Warum gleich die Relativierung, dass Fehler normal seien? Nein, Fehler sind nicht normal, denn es zeichnet gerade Fehler aus, dass sie Abweichung von der Norm darstellen. Fehler mögen üblich sein, aber das rechtfertigt sie nicht. Dieser Satz ist die Einleitung zum Verschieben des schwarzen Peters zum Opfer.
Was soll diese Pauschalunterstellung? Ich habe meine ehemalige Gemeinde verlassen, weil diese durch den Pastor von oben herab geleitet wurde. Und genau dieses Problem soll meine Frau auch bei mir finden? Ich habe noch nie eine Gemeinde geleitet und habe auch nicht vor, das zu tun. Nun könnte man natürlich auch grundsätzlich an Top-Down-Leitung denken. Ich habe deshalb meine Frau mal probehalber gefragt, ob sie den Eindruck hat, ich würde über sie bestimmen. Diesen Eindruck hat sie nicht. Nein, lieber Rolf, es gibt Probleme mit Gemeindeleitern, die man selbst nicht hat und die nicht verharmlost werden sollten.
Die Angst vor dem Ersticken des Glaubens ist ein Hebel, mit dem Leute in Gemeinden gehalten werden, selbst wenn sie durch diese Gemeinden viel Unrecht und Leid erfahren. Aber dieser Hebel funktioniert bei mir – Gott sei Dank! – nicht mehr. Mein Glaube wird nicht durch Gemeinden am Leben erhalten und auch nicht durch Predigten, Freunde oder Andachtsbücher, sondern durch den Heiligen Geist.
Oben hast du doch noch von meiner Frau geschrieben. Sie ist da. Und das ist gut so, denn die Gemeinschaft mit ihr ist ungleich wertvoller als die Gemeinschaft mit unverbesserlichen Pastoren und oberflächlichen Gemeindemitgliedern.
An diese Bibelworte kann ich mich nicht erinnern, nur an die in meinen Augen falschen Auslegungen verschiedener Bibeltexte, die bei mir immer zu Frust geführt haben, weil mir klar war, dass die verantwortlichen Prediger an meiner kritischen Meinung nicht interessiert sind.
Du gehst auf mein Verletzt-Sein ein, nur um dann gleich wieder auf meine angeblichen falschen Erwartungen zu sprechen zu kommen. Weißt du, dass das den ganzen Verletzungen nur eine weitere hinzufügt?
Und jetzt das noch! Ich habe mehrfach versucht, mit dem Pastor über die von mir wahrgenommenen Probleme ins Gespräch zu kommen und er hat das immer wieder abgeschmettert. Dass mir jetzt quasi unterstellt wird, ich wäre noch nie auf andere zugegangen und ich sollte doch jetzt mal damit anfangen, empfinde ich als ungeheuer kränkend.
Damit sie bleiben und weiterhin Opfer sind? Nein, erst wenn das letzte Mitglied die Gemeinde verlassen hat, werdet „ihr“ (die Pastoren) merken, dass ihr euch verrannt habt. Vielleicht auch nicht einmal dann.
Genau das hätte ich in meiner ehemaligen Gemeinde gerne gesehen. Und genau das wurde dort konsequent abgewehrt.
Wer sagt denn, dass ich mich nicht mehr investiere? Ich habe unmittelbar nach meinem Austritt einen Hauskreis gegründet, in dem offen und ehrlich diskutiert werden kann, weil da keine Autorität ist, die Kritik an ihren Aussagen behindert. Dieser Hauskreis lässt mich aufblühen. Und zugehörig zum Leib Christi bin ich unabhängig von irgendwelchen Gemeindemitgliedschaften.
Hi Kokospalme,
der Artikel ist natürlich etwas allgemein geschrieben.
Generell finde ich es klasse, dass du – nun in Form eines Hauskreises
– dich nicht komplett zurückgezogen hast. Auch wenn sich jemand
komplett zurückzieht finde ich das nicht den Weltuntergang, denn klar
ist er immer noch Christ und er / sie kann sich ja bei einer anderen
christlichen Gruppe / Kirche einbringen. Wenn Bibeltexte falsch
ausgelegt werden, würde ich mich auch „abmachen“.
Manchmal sind auch wir selbst das Problem, das merkt man dann, wenn
immer wieder überall dasselbe Problem auftaucht. Manche Hauskreisleute
/ Hauskirchenleute vertreten diesen Platz als „einzig Wahres“.
Umgekehrt genauso die Gemeinden.
Generell finde ich eine Gemeinde dadurch dass sie größer ist
vielfältiger, sinnvoller, es gibt mehr Gaben, die sich helfen und
ergänzen können. Da Gemeinde aber manchmal so abläuft wie von dir
beschrieben braucht es auch die anderen Modelle.
Grüße Rolf