Haben Sie genug gesehen oder soll ich Ihnen weitere Folterwerkzeuge zeigen?
Als die Ameisen verstanden hatten, dass sie den kontaminierten Boden nicht betreten dürfen, benutzten sie sich gegenseitig als Brücke. Sie schwirrten wuselig durch die Gegend, wenn auch seltsam kompliziert und uneffektiv. Aus einem genial funktionierenden Volk war ein umständlich agierender Haufen geworden.
Nun saßen sie da mit ihrem Abstand. Einmeterfünfzig im Kreis gemessen. Die Diakonissenkappe vor den Mund gespannt. Sie desinfizierten Türgriffe, lüfteten auffällig häufig, umrundeten und wichen aus, taten, was nötig war, damit alle schön gesund blieben.
Sie führten Listen mit desinfizierten Händen
hinter Plexiglaswänden,
entwarfen Konzepte, die das Gesundheitsamt
für gut befand.
Berechneten, wie viele Menschen passen
in diesen Raum.
Es wird einfach das Menschenmögliche gemacht,
ähnlich wie im bösen Traum
in der Nacht.
Es gibt die Frühschicht und es gibt die Spätschicht,
damit, wenn sich einer infiziert, er nicht gleich alle infiltriert und der Gesunde nicht dadurch zum Kranken mutiert.
Intubiert.
Ich seh es ja ein, es ist ein hässlicher Reim.
Der Busfahrer dreht seine Kreise allein,
plötzlich will keiner mehr bei ihm sein.
Kürzlich hab ich mit meiner Frau im China-Restaurant gegessen,
es sind im ganzen Restaurant nur 4 Mann gesessen.
Ich dachte mir: Selbst ein Imbiss hat wohl mehr Gäste, ich bin Zeitzeuge des Niedergangs von Firmen, Unternehmen, Existenzen, Menschen und deren Broterwerb. Länder kollabieren vor meinen Augen in Zeitlupe. Warte ein bisschen, jetzt – hast du es gesehen, siehst du es? Hörst du es? Hörst du den Zusammenbruch?
Das Knacken im Erdreich – und wieder einer– dabei war er vor kurzem ein Vorzeigekandidat, ein Musterschüler, ein Bulle an der Börse!
Soeben wurde gerade noch eine Pleite abgewendet, indem Einer bürgt, der nicht die Mittel dazu besitzt. Weit entferntes leiser werdendes hallendes Lachen eines Weggehenden.
Dann trat eine neuartige Krankheit an den Oberschenkeln auf, die nur durch dicke Bandagen therapiert werden konnte. Betroffene wickelten die Oberschenkel möglichst dick mit Mullbinden ein, was ihr Leiden etwas linderte. Jedoch liefen sie nicht mehr wie Menschen, sondern – eher wie Michelin-Männchen hin- und herwankten. Schon nach kurzer Zeit gewöhnte man sich an den seltsamen Anblick der wankenden Menschen. Der seitlich schwankende Gang schien dann völlig normal, als hätte es nie etwas anderes gegeben. Man arrangierte sich. Ja, du fandest es normal, völlig normal. Zucktest die Schultern und sagtest mir, dass es unter den gegebenen Umständen noch das Beste sei und, dass man eben versuchen müsste, das Beste aus der Situation zu machen.
Naja, ich dachte, wenn drei, vier, fünf Menschen sich zusammenfinden, um Gott zu bitten, dass die Plage ein Ende hat. Ich meine, wollen wir uns damit arrangieren und uns an die Hüftschmerzen gewöhnen? An den Mundschurz und an die positiv Getesteten und die Negativen? Einige haben noch nichts verstanden, aber einige haben auch gesehen, wohin die Reise geht. „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte nicht.“ Einige haben nicht verstanden, sie würden, sobald es irgend wieder möglich ist, die Tretmühle bedienen, vielleicht noch heftiger und schneller als zuvor. Aber einige haben verstanden – sie sahen die Graben und die Risse, die Geräusche der Fallenden und das Jaulen im Bersten.
Zerfurchte Gesichter, schmerzverzerrt.
Aber angenommen, wir beten und Gott erhört das Gebet und beendigt das Virus. Sie werden sagen, „seht ihr, es ist alles wie vorher, lasst uns feiern, lasst uns Party machen“. Auch Solche, die vom Unterschied zwischen Zeit und Ewigkeit längst wissen.
Wenn das Virus einfach aufhört, weil Gott das Gebet erhört. Vielleicht das Gebet eines Einzigen, der ihm vertraut, dem er vertraut. Bist du sein Vertrauter?
Dieser Blog-Beitrag von Rolf Oetinger erschien zuerst auf jesus-blog.de . Lies hier den Original-Artikel "Haben Sie genug gesehen?".