„Die Erfindung der Komposition mit zwölf aufeinander bezogenen Tönen
erwuchs aus einer Notwendigkeit.“
(A. Schönberg, zitiert nach „Stil und Gedanke- Aufsätze zur Musik“, Frankfurt 1976)
Not
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts suchte ein aus Malern, Dichtern, Architekten und Musikern bestehendes Künstlerkollektiv in Wien nach Möglichkeiten neuer Ausdrucksformen. Unter ihnen auch der Komponist Arnold Schönberg, der rückwirkend seine „Methode der Komposition mit zwölf aufeinander bezogenen Tönen“, die sogenannte „12 Ton-Musik“, als eine „Notwendigkeit“ bezeichnete, und damit die Ausweitung des Harmoniebegriffs einer als überkommen empfundene Dur-Moll-Tonalität beschrieb. Ungeachtet der Tatsache, dass diese Musik damalige und heutige Hörer gleichermaßen verschreckt, war es nicht das Hirn einer überstrapazierten Künstlerpersönlichkeit, das den Bruch mit den tonalen Gesetzen der vergangenen Jahrhunderte vollzog, sondern die emotionale Betroffen- und Unzufriedenheit einer ganzen Künstlergeneration, die den Aufbruch herbeisehnte.
So gesehen auch Jesus 25, die ich als eine „Konferenz der Notwendigkeit“ wahrgenommen habe, fanden sich doch Schulter an Schulter Vertreter einer breiten evangelikalen Öffentlichkeit, die dieselbe Betroffen- und Unzufriedenheit einte: Zu groß sind die Zerwürfnisse der vergangenen Jahre, zu tief die Gräben zwischen Vertretern tonaler und atonaler Musik- konservativer und progressiver Theologie im evangelikalen Gewand. Und stark ist die Sehnsucht nach Einheit, Erneuerung und Erweckung in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Im Angesicht von Sehnsucht und Herausforderung einte so gemeinsam erlebte Not und wurde zu einer notwendig erlebten Gemeinschaft. Die Bühne besaßen weder Organisationen, Redner oder Musiker: Aus dem Schatten des Vorhangs trat eine Braut. Vorsichtig erst, zögernd leise, abwartend und sich scheu umblickend. Dann mit zunehmend sicheren Schritten und Stimme. Und einer großen Würde.
„Mache dich auf, meine Schöne, und komm!“ (Hohelied 2, 13)
Fundament
Die Braut Christi sucht ein Fundament. Das wird und kann nur ein historisches Christentum sein, gegründet auf Bekenntnisse und traditionelle Glaubensüberzeugungen, die sie in Beziehung bringen zu Christen aller Länder und Zeiten. Diese Überzeugungen stehen in unmittelbarem Zusammenhang zu einer vertrauensvollen Sicht auf die Heilige Schrift als geoffenbartes Wort Gottes. In ihr hört die Braut die Stimme des Bräutigams, der sie lockt, sicher führt und zum Ziel bringen wird. Die Krise der Kirche ist in Wahrheit eine Beziehungskrise, die Ludwig v. Zinzendorf so beschreibt: „Wenn dein Wort nicht mehr soll gelten, worauf soll der Glaube ruhn?“ Jesus25 vergewisserte sich kraftvoll und wohltuend des uneingeschränkten Grundtons der Glaubenstonart, die zum tonalen Zentrum einer ganzen Reihe von Nebenakkorden wird, sei es Sexualethik, Missiologie, Apologetik oder Gebet. Der Quintenzirkel der Hermeneutik hat ein bibelorientiertes Christuszentrum. Von dort spielt die Musik, zu der die Braut singen wird.
„Lass mich deine Stimme hören.“ (Hohelied 2, 14)
Stimme
Und singen kann sie! Jeder weiß um die Bedeutung des geistlichen Gesangs. Umso erstaunlicher ist es, wenn auf einer von Theologen, Pastoren, Autoren und Apologeten organisierten Konferenz (die auch die Mehrzahl der Besucher stellten), so leidenschaftlich gesungen wird wie bei Jesus25. Einfache Lieder mit eingängigen, hymnenartigen Melodien und tiefen biblisch orientierten Texten erweckten die Stimme der Braut: Kraftvoll, leidenschaftlich und fröhlich. Der gemeinsame Gesang weckt die Lebensgeister, versichert einander der gemeinsamen Richtung und spült Hoffnung in verunsicherte Seelen. Es liegt Kraft im musikalischen Bekenntnis und öffnet Räume für Dank und Anbetung. Gott will besungen werden, weil er Schönheit und eine vom Geist bewegte Seele liebt.
„Fangt uns die Füchse, die den Weinberg verderben!“ (Hohelied 2, 15)
Auftrag
Musik allein genügt nicht. Theologie auch nicht. Beide haben einen Auftrag. Die Braut Christi lebt nicht für sich allein. Gemeinde tut gut daran, ihr Instrument zu stimmen und den richtigen Ton zu finden. Einblick in die Partitur ist auch vonnöten. Pausenloses Stimmen jedoch ermüdet die Ohren und ergibt keinen Wohlklang (auch keinen 12tönigen!). Eine Konferenz, die sich ausschließlich selbst den Puls fühlt, hat keinen bleibenden Wert. So muss sich auch Jesus25 an ihren Früchten messen lassen. Es ist an der Zeit, die Kraft auf die Straße zu kriegen (oder die Noten aus der Partitur in den Saal). Als interessierter Hörer erwarte ich eine Entwicklung, wenn nicht im Zusammenklang (gr. symphonos), dann doch in der Ausstrahlung (lat. expressio) des Musikstücks! So möchte ich mithelfen, dass Christen in Zukunft mutig bekennen, stark glauben und denken, sowie beherzt lieben und handeln. Wo das auf Grundlage des oben notierten Grundtons geschieht, wird Gemeinde Zukunft haben und die Schönheit der Braut sichtbar werden. Hier ein paar Vorschläge zur Güte:
- Wir brauchen Diskussionsformate, bei denen theologische Unterschiede auf den Tisch kommen und offen benannt werden. Hier dürfen Bekenntnisevangelikale nicht unter sich bleiben. Auch hier gilt: Der Ton macht die Musik, Argumente sollten sachlich und in Wertschätzung vorgetragen werden.
- Wir brauchen eine starke Vernetzung von bibeltreuen Ausbildungsstätten, Gemeindearbeit, Missionswerken und Gebetsinitiativen. Alle haben dasselbe Anliegen. Jeder kann von den anderen lernen. Freundschaften sollten gepflegt und intensiviert werden. Das fordert regelmäßige persönliche Treffen, Projekte und Veröffentlichungen. Besondere Bedeutung kommt hierbei auch den fremdsprachigen oder migrantischen Gemeinden zu.
- Wir brauchen den Mut, die christliche Orientierung in unseren Werken wieder zum Primat unserer Arbeit zu machen. Christliche Diakonie sollte christlich „klingen“ (also sein), genau wie eine christliche Schule die Pflicht hat, gesellschaftliche Narrative auf Grundlage der Bibel kritisch zu hinterfragen. Vorsichtiges Leisetreten an dieser Stelle schärft weder das eigentliche Profil, noch ist es attraktiv in unserer Welt. Man vergleiche dazu nur die Worte Jesu vom „Salz der Erde“.
- Wir brauchen eine deutliche öffentliche und gemeinsame Stimme. Vielleicht lassen sich bestehende Netzwerke hierfür nutzen (Evangelium 21, Gospel Coalition, Lausanne)? Schärfen wir doch für die Menschen in unserer eigenen frommen Blase den Blick für das große Ganze. Braut Christi geschieht global.
„Denn siehe, der Winter ist vorbei…“ (Hohelied 2, 11)
Hoffnung
Eine Braut, die sich sammelt, bewegt und nach vorne tritt, macht mir Hoffnung, weil sie ein Beweis dafür ist, dass ihr HERR lebt. Aus einer „Notwendigkeit“ mag sich manches ergeben, mitunter auch viel Sinnvolles. Schönberg irrte jedoch gewaltig , als er sich in der Voraussage verstieg, die 12-Ton-Methode würde die „Vorherrschaft der deutschen Musik für die nächsten hundert Jahre sichern.“ Sinnvolles ist nicht immer tauglich und schon gar nicht immer schön. Wenn die Braut sich erhebt, geschieht dies aus Wahrheit heraus. Weil dies ein Beweis dafür ist, dass ihr HERR mit ihr ist. Wahrheit im Kern ist immer auch schön. In diesem Sinn war Jesus25 im besten Sinn für mich wahr und schön zugleich und damit ein wichtiges und ermutigendes Signal des gemeinsamen Aufbruchs.
Dieser Blog-Beitrag von Frank Laffin erschien zuerst auf Glaubensschritte . Lies hier den Original-Artikel "Die Schönheit der Braut".