Was für ein Jahresbeginn! Die Ereignisse, die wir allein in den wenigen Tagen des jungen Jahres 2018 verfolgen konnten, stehen ohne Zweifel für heftige Beben in der kirchlichen Landschaft. Hier nur ein paar Schlaglichter:
1. Offener Abschied vom evangelikalen Konsens?
Diskussionen innerhalb des evangelikalen Spektrums wurden bislang meist als Debatten zwischen streng Konservativen und moderat Konservativen wahrgenommen. Trotz der erheblichen theologischen Differenzen wurde fast immer die Einheit zwischen den evangelikalen Flügeln beschworen. Der Blogautor und ehem. Redaktionsleiter von jesus.de Rolf Krüger hat nun in seinem Blogartikel offen eingeräumt, dass die Unterschiede doch so grundlegend sind, dass es keinen Sinn macht, sie verschweigen oder übertünchen zu wollen. Der Artikel steht aktuell auf Platz 1 der Blogcharts. Offensichtlich spricht Rolf Krüger etwas an, was vielen aus dem Herzen spricht. Der tiefe Riss, den Rolf Krüger beschreibt, scheint eine Realität zu sein, die von vielen empfunden wird.
2. Offener Bruch mit Bibel und Bekenntnis?
Der Beschluss der rheinischen Kirche, keine Gespräche mit Muslimen in Konversionsabsicht zu führen, weil der Glaube von Muslimen ja auch eine „Bindung an den einen Gott“ sei, stellt einen derart offenen Bruch mit Bibel und Bekenntnis dar, dass man sich kaum noch vorstellen kann, wie das noch mit dem reformatorischen „Solus Christus“ und „Sola scriptura“ vereinbar sein soll. Heißt das also Abschied von den reformatorischen Grundfesten, und das unmittelbar nach Abschluss der Reformationsfeierlichkeiten? Zumindest für die Landeskirche im Rheinland scheint das tatsächlich zu gelten. Abgesehen von einem Einspruch von Michael Diener gab es bislang von Seiten der EKD keinen hörbaren Widerspruch. Demnach scheint auch die EKD keine klare Ausrichtung bei solch grundlegenden Fragen zu haben. Gibt es dann überhaupt noch eine klar definierbare Lehrgrundlage, auf die Konservative in der EKD zählen könnten?
3. Offener Bruch mit dem Lebensschutz?
Ähnlich verstörend wirkt für viele Konservative das vehemente Votum der führenden evangelischen Publizistin Ursula Ott für eine umgehende Legalisierung von Abtreibungswerbung. Der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm teilte dazu mit, dass er diese Meinung nicht teile, aber dass sie „innerhalb der möglichen Meinungsäußerungen im Bereich des Protestantismus“ liege. Man muss also nicht unbedingt gegen Abreibungswerbung sein, wenn man ein führender Repräsentant des Protestantismus ist? Für alle, die sich leidenschaftlich für den Schutz des ungeborenen Lebens engagieren, ist das eine tieftraurige Nachricht. Wer allerdings in den letzten Jahren beobachtet hat, wie sehr sich die evangelische Kirche regelmäßig vom Marsch für das Leben in Berlin distanziert hat, ist auch nicht wirklich überrascht von dieser Entwicklung.
4. Offener Kampf gegen Konservative?
Nachdem der konservative Gesprächskreis „Lebendige Gemeinde“ in der württembergischen Landeskirche die Einführung von Amtshandlungen für gleichgeschlechtliche Paare blockiert hat, verlagert sich die Auseinandersetzung nun zunehmend in den Bereich der öffentlichen Medien, die sich – wen wunderts – voll auf die Seite der Befürworter von Amtshandlungen für gleichgeschlechtliche Paare stellen. Die Süddeutsche ruft gar zum „Aufstand gegen den Pietcong“. Die Dekane reden offen über kirchlichen Rechtsbruch, um den demokratisch zustande gekommenen Synodenbeschluss hintergehen zu können. Gilt Toleranz und Demokratie jetzt also auch in der Kirche nur noch so lange, wie die Meinungen und Beschlüsse dem liberalen Mainstream genehm sind? Das ist für Konservative in Württemberg jedenfalls eine neue Dimension des Umgangs miteinander.
Was bedeutet das? Die Chance eines neuen, heilsamen Nebeneinanders
Alle diese Entwicklungen machen noch offen sichtbar, was Viele unter der Oberfläche längst gespürt und gesehen haben: Der Riss zwischen denen, die man im Allgemeinen als die „Konservativen“ bezeichnet und denen, die sich selbst als die Liberalen / Progressiven / Emergenten / Post- und Linksevangelikalen sehen, ist längst so tief, dass es oft nicht mehr möglich ist, an einem Strang zu ziehen. Der Riss verläuft laut Rolf Krüger „nicht nur zwischen Kirchen und Freikirchen, zwischen Liberalen und Evangelikalen. Er geht auch mitten durch alle Kirchen, Bünde, Konfessionen und Gemeinden.“ Es geht dabei eben nicht mehr um theologische Feinheiten sondern um kategoriale Differenzen bei Fragen, die den innersten Kern der christlichen Botschaft betreffen. Und es geht natürlich auch um einen Machtkampf bei der Frage nach der Ausrichtung der Landes- und Freikirchen, der kirchlichen Publizistik (wie nicht zuletzt die Streichung der idea-Zuschüsse gezeigt hat) und – besonders wichtig – bei der Ausrichtung der theologischen Ausbildungsstätten, weil hier die zukünftige Ausrichtung der frommen Landschaft in Deutschland geprägt wird. Wie selbstbewusst in ehemals konservativen Ausbildungsstätten mit liberaler Theologie kokettiert wird, offenbart sich beispielsweise aktuell an Dozenten wie Prof. Tobias Faix, einer der ganz großen Stars der progressiven evangelikalen Szene, der Texte von liberalen Ikonen wie Judith Butler und Dorothee Sölle inzwischen ganz ungeniert und unkritisch postet … ja genau die Dorothee Sölle, die sogar der universitären Theologie zu liberal war.
Rolf Krüger hat recht: Es macht keinen Sinn, diesen tiefen Riss um des lieben Friedens willen verschweigen oder verharmlosen zu wollen. Viel besser ist es, „die Karten auf den Tisch zu legen“, Differenzen klar und deutlich anzusprechen und dann ganz offen ein gutes Nebeneinander zu suchen! Nebeneinander heißt: Sich menschlich in Liebe und Respekt begegnen, die verschiedenen Positionen fair und sachlich zu diskutieren, wo möglich auch zu kooperieren, ansonsten einander loslassen und sich gegenseitig Freiraum geben, jeweils eigene Strukturen betreiben, fördern oder neu aufbauen zu können. Für die evangelische Landeskirche würde das bedeuten, dass es Raum geben muss für konservative Profilgemeinden samt der Möglichkeit, dass Abgänger konservativer Ausbildungsstätten Pfarrer werden können, wenn dies vom Kirchengemeinderat im Konsens so gewünscht wird. Für den freikirchlichen Bereich würde das bedeuten, dass es auch Verbünde geben darf, die sich wieder voll und ganz auf ihr konservatives Profil konzentrieren, um zu einer neuen inneren Einheit zu finden, so wie es der Bund der südlichen Baptisten in den USA in eindrücklicher Weise vorgemacht hat.
Was es dagegen in einem fairen und respektvollen Nebeneinander wirklich nicht mehr geben sollte, ist diese heimliche Unterwanderungstaktik, die man hier und da beobachten kann. So verwundert es doch sehr, wenn Dozenten und Verantwortliche von bibeltreuen Ausbildungsstätten sich gleichzeitig für Worthaus, liberale, emergente und transformative Theologie begeistern. Ihr lieben Freunde, die das betrifft: Es gibt doch haufenweise liberale Ausbildungsstätten in Deutschland. Wir fänden es ehrlich und konsequent, wenn ihr dorthin wechselt, statt den von Rolf Krüger beschriebenen Riss auch noch mitten in die wenigen konservativen Ausbildungsstätten hineinzutragen und sie damit zu ruinieren. Oder aber überzeugt eure Kollegen und trennt euch als ganze Schule vom Label „bibeltreu“ und von den Bekenntnissen, die man auf der KBA-Homepage nachlesen kann, die aber so gar nicht zur Theologie von Siegfried Zimmer und anderen bei euch beliebten Theologen passen. Das fänden wir jedenfalls redlicher, als Studenten, Gemeinden und Spendern eine konservative Ausrichtung vorzutäuschen, während unter der Decke liberale Inhalte vermittelt werden.
Wir würden uns freuen über ein respektvolles Nebeneinander, und nicht zuletzt über einen fröhlichen Wettbewerb der theologischen Ausrichtungen. Als Konservative glauben wir ja, dass die liberale Theologie keine tragfähige Grundlage für die Kirche bietet. Umgekehrt seht ihr uns Konservative oft auf dem Abstellgleis der Geschichte stehen. Schauen wir doch einfach mal, wie sich das tatsächlich entwickelt. Wir freuen uns auf sachlich kritische Diskussionen und auf gute, herzliche und freundschaftliche Begegnungen, wenn sich unsere unterschiedlichen Wege immer wieder kreuzen.
Dr. Markus Till
Jonas Erne
Reinhard Jarka [Respekt s. HT#82]
Lieber Dr.Till,
vielen Dank für Ihren offenen, ehrlichen Beitrag. Sie bringen auf den Punkt, was mich schon länger beschäftigt und was sich (via deutsche Ausbildungsstätten) leider auch in Österreich ausbreitet.
Liebe Glaubensbrüder im Herrn,
ich DANKE euch für die klare Positionierung zu dieser negativen Entwicklung in den Landes-/ und Freikirchen, die auch Mut benötigt.
Gottes reichen Segen für Euch.
HERZLICH(S)T
Klaus
Daß die evangelischen Landeskirchen schon seit längerer Zeit innerlich gespalten sind, ist ja wahrlich nichts Neues. Für mich neu ist nur, daß sich das nunmehr seit einiger Zeit auch auf die Freikirchen bezieht, mal abgesehen von deren seit langem ohnehin etwas unterschiedlichen Lehrmeinungen, die aber weniger die christliche Ethik an sich betreffen.
Aus Süddeutschland ist ja jüngst ein Fall bekannt geworden, wo ein Prediger mit dem Tode bedroht wurde. Der Prediger wollte zwar keine Homosexuellen trauen, ist aber offenbar offen für deren Lebensweise. Diesem Prediger wurde gekündigt, offenbar aus dem Grund, daß er eine gewisse Offenheit hier gezeigt hatte. Siehe Link:
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/gesellschaft/2017/10/27/deutscher-pastor-erhaelt-todesdrohung/
Wir erleben hat immer mehr den Abfall von Gottes Geboten, der nicht nur von den Protestanten vorangetrieben wird, sondern längst auch innerhalb der katholischen Kirche eingetreten ist und nunmehr sieht es so aus, daß selbst der (jetzige) Papst Änderungen in der Lehre schaffen will, was die Wiederheirat angeht. Erst vor kurzem hat der deutsche Bischof Bode gesagt, man sollte in der kath. Kirche Überlegungen anstellen, die homosexuellen Verbindungen (Ehen sind das im herkömmlichen und im biblischen Sinne ja nicht) einzusegnen. Innerkirchlich kam da von vielen Gläubigen Kritik auf, aber der Papst lässt da ja alles laufen.
Super Beitrag und das trifft es voll wie es ist.
Um das ganze mal in einem Bild zu beschreiben. Ein VW-Verkäufer würde nie BMWs verkaufen. Macht es das doch ist er seinen Vertrag los. Das Angebot im frommen Bereich ist mittlerweile in allen Gemeinden und Bewegungen so breit geworden, dass man nicht mehr sofort sieht ob man in einer Gemeinde einen Porsche oder Daimler bekommt. Deshalb führt kein Weg dran vorbei sich in einer Gemeinde ganz klar zu postionieren und dann eventuell aus seinem Bund auszutreten
@ Heinz Weber
Nachdem was die Quellenlage hergibt hat sich die Gemeinde des Pastor in dieser Frage mehrheitlich gegen den Pastor ausgesprochen, wobei dieser es augenscheinlich nicht mitgetragen hat.
Zur einer gesunden Zweinigung – d.h. der ehrlichen Annahme der Trennung und dem gesunden, in Liebe getragenen Umgang dafür, finde ich immer wieder die Geschichte um Lot und Abraham interessant. Das Land ertrug beide nicht (sie und ihre Viehherden :-)). Und so zweinigten sie sich, um eben nicht das böse Blut fließen zu lassen. 1. Mose 13,5-18.
„Wir würden uns freuen über ein respektvolles Nebeneinander“
Mit Verlaub: das nehme ich Ihnen nicht ab. Wenn Sie ein respektvolles Nebeinander wollten, dann würden Sie damit aufhören, sich selbst als „bibeltreu“ zu bezeichnen, während aus Ihrer Sicht alle, die die Bibel auf eine andere Art und Weise verstehen, mindestens implizit als „nicht-bibeltreu“ abgekanzelt werden.
Ich denke, sie gehen mit Ihrer Ansicht an Kernelementen dieser Diskussion vorbei: Varianzen und verschiedene Ansichten über die biblischen Aussagen finden sie auch bei den heterogenen bibeltreuen Gemeinden – indivuell bei den beteiligten; genauso zeitweilig im Konsens verschiedener Strömungen. Aber worum geht es hier? Warum wagen es einige Christen, die selbst so einen heterogenen Hintergrund haben, so klar und heftig zu widersprechen, Anfragen zu stellen und eine Diskussion zu starten (Debattenstarter: Das müsste wohl doch sehr positiv wahrgenommen werden – es zielt jemand auf Diskussion ab – miteinander)?
Der Grund liegt darin begraben, dass wir in Kernfragen des Glaubens keine Einigkeit mehr haben. Es gibt viele Punkte, bei denen ich in der Form (z.B. Gottesdienstgestaltung) und auch bei verschiedensten Ansichten (inhaltlich) Varianz stehen lassen kann. Aber (!) wenn wir fallen lassen, dass Christus auferstanden ist, wenn wir fallen lassen, dass ER der einzige Weg zum Vater ist und in keinem anderen Namen heil ist, wenn wir in Frage stellen, dass der Tod Jesu am Kreuz Sühnecharakter hatte [wie Jesus es uns in den Worten zum Passah-Mahl sagt] uvm (siehe https://www.bibelundbekenntnis.de/kommunique-vom-23-januar-2016/): Dann ist es tatsächlich so, dass jemand wie ich hart auftreten wird, die Möglichkeit von zulässigen Lesarten zur Seite schiebe, dann halte ich mit Blick auf sein (!) Offenbarungswirken und – Inhalt fest, dass eine Seite irrt.
Wer von sich selbst denkt, die Wahrheit gepachtet zu haben, und gleichzeitig allen, die nach dem gründlichen Studium (!) der gleichen heiligen Schrift zu anderen Auslegungen gekommen sind, unterstellt, dass sie Irrlehrer seien, der will keine Debatte starten, sondern recht haben. Eine Debatte führt man auf Augenhöhe. Zumal hier Leute wie z. B. Tobias Faix oder Michael Diener oder Torsten Dietz kritisiert wurden (die Namen wurden ja gegenüber idea exemplariach in den Ring geworfen), die ganz sicher nicht an der Auferstehung Christi zweifeln.
@Peter
Das Wort „bibeltreu“ ist nirgends definiert, das ist das Problem. Jeder kann etwas anderes darunter verstehen. Gibt es eigentlich einen evangelischen Katechismus, indem viele Details geregelt sind? Bei der kath. Kirche gibt es den. Bei den Evangelischen gibt es ja auch einen, was dort aber im Einzelnen drin steht und geregelt ist, weiß ich leider nicht.
Ich habe mal bei einigen Freikirchen gelesen, was sie unter Glauben verstehen. Sie berufen sich allein auf die Schrift, das ist ja klar, dann noch auf die Erwachsenentaufe und einige andere Dinge mehr. Sonstige Details findet man nicht, erst recht keinen umfangreichen Katechismus. Da bleibt also vieles im Vagen und Spekulativen und daher ist es auch möglich, daß man die Lehre nach Jahren in Fragen der christlichen Ethik z.B. ändert, was wir ja jetzt oft genug erleben.
Es geht nicht um die Definition von „bibeltreu“ – dahinter verbirgt sich die Aussage, dass die einen den rechten Glauben haben, während die anderen von der Bibel (vermeintlich) abweichen und letztlich Irrlehren verbreiten.
Es wäre einfach schön, wenn meine sehr konservativen Geschwister verstehen würden, dass sie die Bibel einfach nur auf eine andere Weise auslegen im Vergleich zu vielen, die sie so gnadenlos kritisieren. Anstatt zu denken, sie seien die einzigen, die im Besitz der Wahrheit und der reinen Lehre sind.
Genau das ist es doch, was tatsächliche Unterschiede nur scheinbar einebnet. Warum kann man heute eigentlich keine Absolutheitsansprüche mehr vertreten? Weil immer gleich damit gerechnet wird, dass man sich gleich den Schädel einschlägt? Genau das führt doch aber zu unklaren Konturen und wachsweichen Meinungsäußerungen um des lieben Friedens willen. Und unter der friedlichen Oberfläche gärt es dann doch. Nein, so lange keine eingeschlagenen Schädel übrig bleiben dürfen ruhig auch mal die Fetzen fliegen. Es gibt nicht umsonst das sprichwörtliche reinigende Gewitter. Selbstverständlich dürfen auch die Liberalen ihre Ansichten für absolut halten und, wenn es ihr Gewissen sagt, abweichende Meinungen als Irrlehren bezeichnen. Und das tun sie, wenn sie mal ehrlich sind, auch jetzt schon oft genug. Wer penetrant nach Inkonsequenzen sucht, wird sie auf beiden Seiten des Jordans finden.
Nun ja, den Vorwurf der Rechthaberei kann ich Ihnen genauso machen. Sie sind ja davon überzeugt, daß sich die Bibel relativieren läßt und daß dies alles im Sinne Gottes ist. Sie tun aber so als hätten sie eine neutrale Position und werfen den anderen eine parteiische vor. Dabei sind sie genauso parteiisch. Ich weiß nicht, ob so eine Diskussion etwas bringt.
Ich war früher einmal Baptist (in den 90er Jahren) und da habe ich gesehen, wie die Gemeinde von einem Fan der historisch-kritischen Methode zu einer liberalen umgebaut wurde. Die Bibeltreuen wurden Salamischeibe für Salamischeibe aus der Gemeinde rausgeekelt. Ich habe mich auch mit ihm angelegt. Später bin ich aus beruflichen Gründen weggezogen und habe deshalb die Gemeinde verlassen. Jedenfalls habe ich die Gemeinde vor diesem Weg gewarnt, die Bibel zu relativieren und zu behaupten, die anderen Menschen kommen ja doch noch irgendwie zu Gott, auch ohne Glauben an Jesus. Und es war für mich auch klar, daß dieser Weg die Gemeinde schrumpfen lassen wird. So ist es auch gekommen. Sie ist nur noch ein Schatten vergangener Zeiten.
Das kann man ja nun bei allen liberalen Gemeinden beobachten. Wenn die Lehre nicht mehr stimmt, wird sie dem Siechtum preis gegeben.
Und was ich dabei einfach nicht verstehe, was in dem Artikel auch hier angesprochen wurde. Wenn die Leute Anhänger der historisch-kritischen Methode sind. Wenn sie die Bibel relativieren, Probleme mit der Jungfraugeburt haben, Probleme mit dem Gericht Gottes haben, Sünde nicht mehr als Sünde gelten lassen wollen (und wo keine Sünde mehr ist, wird nicht mehr bei Gott um Vergebung gebeten, also bleibt die Schuld bestehen, daraus folgt eine Gottferne) etc. Warum versuchen diese Leute die bibeltreuen Gemeinde, Seminare, Werke usw. umzubauen. Warum wechseln sie nicht in liberale Gemeinden? Es gibt doch wahrlich genug davon (noch). Stattdessen mischen sie ihren Sauerteig unter und schon gibt es wieder eine lebendige Gemeinde mehr, die auf dem absteigenden Ast ist. Von diesem kraftlosen Christentum haben wir wahrlich genug. Mich beeinducken diese Leute, die ihren Unglauben theologisch begründen können keineswegs. Mich beeindrucken Menschen mit einem starken Glauben viel mehr.
Sollen sie doch gehen und die Bibeltreuen allein lassen. Und so wie es im Artikel schon steht, dann schauen wir doch mal, welche Gemeindeformen Gott segnet. Welche werden auf lange Sicht wachsen und welche werden in die Bedeutungslosigkeit verschwinden? Es hat einfach keinen Zweck unter einem Dach zu bleiben. Das funktioniert nicht.
Den Riss durch die Kirchen habe ich schon länger gespürt. Nur die Kirchen-Oberen und Ordinierten meinten bisher, über ihn hinwegsehen zu können. Mit dem Argument der „Freiheit der Verkündigung“ meinen Pfarrer und Pastoren, unangefochten und ohne Prüfung durch Brüder und Älteste ihre Version von „bibeltreu“ für allgemeingültig erklären zu können. Bei mir hat der Riss zum Austritt aus Landeskirche und später EMK geführt.
Die moderne Theologie a la Bultmann und Co gib es schon lange und von deren Vertretern sind nach dem Krieg schon genug ev. Pfarrer ausgebildet worden, die allerdings noch nicht so offen auftraten wie es heute zum Teil der Fall ist. In theologischen Kreisen wird intern ja schon lange eingeräumt, daß der Pfarrer längst nicht mehr an das glaubt, was er offiziell von der Kanzel verkündigt, von Ausnahmen mal abgesehen. Ich kannte aus Bekanntenkreisen einen ev. Pfarrer, der ein Psychoevangelium verkündigt hat und schon im Religionsunterricht und das ist bei mir etliche Jahrzehnte her, hatte man den Eindruck, daß nur ein einziger Religionslehrer – die waren damals alle Pfarrer – an das glaubt, was er von der Kirche her zu verkündigen hat, etliche andere Religionslehrer haben nicht überzeugt und einer kam einem deutlich so vor, daß er, damals kannte ich den Ausdruck nicht, modern war, offenbar ein Anhänger der Bultmann’schen Entmythologisierung. Insofern und wenn man die Lehren bzw. Lehrer an den Hochschulen kennt, war das, was wir heute erleben eigentlich schon vorherzusehen. Der inzwischen emeritierte katholische Bischof von Freiburg Zollitsch hat vor etlichen Jahren ja in einem Interview gesagt, man sage heute nicht mehr, Jesus sei für unsere Sünden gestorben. Er hat dann eine andere Formulierung gebraucht, die m.E. Unfug ist.
@Matze
Was den oben in meinem Link genannten Pastor der Volksmission angeht, so habe ich gestern bei http://www.queer.de (auf diese Webseite bin ich durch googeln über den Namen des Pastors gekommen) gelesen, daß er tatsächlich auch Homosexuelle trauen würde, wenn es ihm erlaubt wäre vom Verband der Volksmission. Jedenfalls hat er das bei Queer selber geschrieben, als ihn jemand danach fragte.
Nun ja, er hat oder hatte ja auch Kontakt zum umstrittenen Prof. Siegfried Zimmer von Worthaus, der das offenbar auch propagiert und ihn im letzten Jahr zu einem Seminar eingeladen. Dieser Herr Zimmer will uns „Dummköpfen “ Wichtiges über den Glauben beibringen, aber er hat selber Nachholbedarf. Er hat ja auch einige berechtigte Kritik an Pfingstlern z.B. vor allem wegen mancher, die propagieren, alle Kranken würden geheilt, wenn sie kommen, aber das weiß ein vernünftiger Gläubiger ohnehin längst.
Kann der Riss nicht auch durch die einzelne Person gehen?
Nein, ich verbinde mit „Sola scriptura“ und „Solus Christus“ nicht den Anspruch auf eine Absolutheit. Im Spiegel eines demokratischen Verfassungswesens ist für mich die Religionsfreiheit verbrieft. Sie verbietet es mir, den Gedanken zu hegen, es gebe nur den einen Weg zu Gott. Denn dass wir als monotheistische Religionen verschiedene Götter haben sollen, die wir anbeten, das kann ich mir nicht vorstellen. Viel eher bin ich überzeugt: Dieser eine Gott, wir haben als Religionen unterschiedlichen Glaubens verschiedene Bilder von ihm vor Augen. Und wir erreichen ihn auf getrennten Pfaden. Natürlich können wir versuchen, einen Andersgläubigen von unserem Heil zu überzeugen. Aber nicht um des Anspruchs willen, dass nur mein christlicher Weg zu Gott der richtige ist. Mission darf für mein Dafürhalten nicht geprägt sein von der Gier, einen Fremden um des Namens Jesu willen zu bekehren, vor allem nicht mit einem Unterton der Überlegenheit und der Genugtuung. Es ist nicht mein Ziel, möglichst viele Menschen von meinem christlichen Glauben zu beeindrucken. Ich habe schon reichlich damit zu tun, selbst ein guter Christ zu sein. Der biblische Missionsauftrag, er gebietet mir nach meinem Verständnis, dem Anderen das Recht auf freie Entscheidung zuzubilligen, so, wie Gott uns selbst diese Fähigkeit zutraut. Ich soll erzählen von meinem christlichen Glauben, ich soll für ihn einstehen, weil er für mich persönlich der Grund allen Seins ist. Wer sich dadurch aus seinem Selbst heraus angesprochen fühlt und Christus aus dem Grunde meiner Erfahrungen heraus nachfolgen will, der ist herzlich eingeladen. Drängen möchte ich aber niemanden. Für mich bedeutet es, übergriffig zu sein, wenn ich mir anmaße, über das Heil meines Nächsten zu befinden.
Und wenngleich ich in dieser Frage ein liberaler Christ sein mag, so zieht sich der Riss zwischen freier Theologie und einem konservativen Bewusstsein für die Ehe zwischen Mann und Frau quer durch mich durch: Als schwuler Christ bin ich dankbar über die Debatte, die wir in unseren Kirchen über die Segnung und Trauung von gleichgeschlechtlichen Paaren führen. Segen sollte jedem Menschen zuteilwerden. Doch ist auch alles Segen, was der Mensch zu tun vermag? 1. Mose 12,2 spricht uns als Personen an. Er nimmt Bezug auf das Liebesgebot aus 1. Johannes 4 und macht deutlich: Gott liebt jeden Einzelnen von uns. Er kann und will aber nicht alles gutheißen, was aus unserer Sicht richtig zu sein scheint. Denn mit einem Segen, da setzen wir ein Zeichen. Segnen heißt auch, ein Vorbild zu schaffen. Die Bibel kennt die Verbindung aus Mann und Frau als Ideal des Miteinanders an. Als Homosexueller ist für mich wichtig zu wissen, dass Gott mich annimmt. Ich verlange von ihm nicht, dass mir Segen für etwas zugesprochen wird, das der Herr nicht kennt. Natürlich ist er auch dort, wo die Zuneigung unter zwei Gleichgeschlechtlichen greift. Das sichert uns Matthäus 18,20 zu. Die „Ehe für alle“ ist aber fern dem Zeugnis der Schrift, das sollten wir nicht zu deuten versuchen. Sie ist klar in Matthäus 19, 5 – 6. Eine weitergehende Exegese verbietet sich an dieser Stelle. Nein, die Zweisamkeit unter zwei Menschen kann nicht Sünde sein, solange sie in Verantwortung gelebt wird. Und trotzdem obliegt es nicht der Kirche, dort Segen zu schenken, wo das Leben Wege abseits der biblischen Verheißung geht. Wir werten nicht ab, indem wir den Segen versagen. Doch wir können ihn nur dort erteilen, wo Gott seine offen erkennbare Zustimmung gegeben hat. Es ist nicht in unserer Hand, über die „Homo-Ehe“ zu richten. Lassen wir ihn selbst walten, doch lassen wir uns nicht abbringen von unserem Gewissen. Wer nicht segnen kann um seines Bekenntnisses willen, der handelt in Verantwortung vor Gott. Das gilt es zu respektieren, das sagt nichts aus über den Menschen, der Segen gibt – und der ihn empfängt. Jeder von uns ist ein Segen, doch nicht jede Bindung kann Segen im Sinne des Herrn sein. Verzagen wir dennoch nicht, um seine Güte zu bitten. Denn das Herz Gottes, es ist weit!
Und gleichzeitig bin ich vielleicht „evangelikal“, weil der Lebensschutz für mich nicht verhandelbar ist. Abtreibungen sind in Deutschland lediglich straffrei. Sie bleiben vor allem im gesellschaftlichen Diskurs umstritten, weshalb ich das uneingeschränkte Vorpreschen der Chefredakteurin von ‚chrismon‘ nicht verstehen kann: Schwangerschaftsabbrüche sind keine Dienstleistungen wie andere. Natürlich brauchen Frauen in größter Not Rat. Dieser muss allerdings ergebnisoffen bleiben. Das kann dort nicht geschehen, wo mit Abtreibungen Geld verdient wird. Denn Werbung ist keine Information. Die gelenkte und aus Eigennutz voreingenommene Aufklärung bestärkt lediglich in der Entscheidung, abzutreiben. Die Alternativen kommen zu kurz. Auch wenn Schwangerschaftsabbrüche für den Laien ‚legal‘ erscheinen, sie müssen verhindert werden. Es braucht kein Engagement für Abtreibungen, sondern für den Erhalt des Lebens. Es ist das Aufzeigen von Auswegen aus finanziellem, sozialem Engpass, aus der persönlichen Überforderung, das Anstrengung und Aufgabe aller sein muss – auch von Abtreibungsärzten. Glücklicherweise kommen Schwangerschaften nur in den allerseltensten Fällen gegen den Willen der Frau zustande. Entsprechend ist die Abtreibung keine Lösung für einen ‚Seitensprung‘, einen ‚One night stand‘. Es geht um werdendes Leben, Frauen tragen nicht nur für ihren Körper Verantwortung, sondern auch für das, was darin geschieht: Das Heranwachsen eines Kindes ist ein Geschenk, keine Last. Wir brauchen ein anderes, ein neues Denken, ein Wertschätzen, ein Annehmen. Psychologische Hilfe, personelle Unterstützung und monetäre Maßnahmen – in Deutschland bleibt niemand allein im Ringen um eine Schwangerschaft. Solch eine Botschaft muss ausgesandt werden.
Nehme ich all meine Standpunkte zusammen – was bleibt dann von mir? Ein in sich zerrissener Christ? Nein, ich bin auch kein „Patchwork“-Christ, der sich seine Meinungen gerade so zusammenstellt, wie es ihm aktuell passt. Ich vertrete meine Standpunkte vor meinem Gewissen – und vor Gott. Das ist für mich wesentlicher Maßstab. Nicht die Frage, wie mich Andere einklassifizieren. Ich verantworte mein Bekenntnis, meine Überzeugungen so, wie es mir als Individuum möglich ist. Ich kann mich nicht an der ein oder anderen Stelle verbiegen, nur, um in eine Schublade zu passen. Wir sind mehr als liberal, evangelikal, mittendrin. Wir sind Christen, weil wir uns auf eine gemeinsame Grundlage berufen, die Schrift. Dass sie in der Deutungsvielfalt Interpretationen zulässt, die ein anderer Christ vielleicht nicht verstehen kann, das sollten wir nicht nur als Demokraten mit großem Respekt anerkennen. Christsein lehrt uns auch, die Verschiedenheit des Glaubens zuzulassen. Das ist keine Willkür, sondern das ist Gnade.
Lieber Bruder Dennis, vielen Dank für Ihren Beitrag.
Man spürt Ihnen das Ringen um Ihren christlichen Standpunkt ab, und ich wünschte mir, wir alle würden mehr Demut an den Tag legen, bevor wir mit schnellen Antworten zur Hand sind. Da schießen wir und auch ich oft sehr schnell, und manchmal sicher zu schnell.
Und gerade die Geschichte der Urkiche ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass zuvor scheinbar unzerüttbare Vorschriften durch die Führung des Heiligen Geistes gelockert werden, man denke an die Fragen der Beschneidung oder der erlaubten Speisen.
Bei all diesem sollten wir aber meiner Meinung nach klar unterscheiden zwischen Nebenfragen und Kernfragen des christlichen Glaubens, z.B. die leibliche Auferstehung Christi, das Verständnis von Christi Tod als Sühnetod, Christus als einziger Weg zum Vater und Christus als alleiniger Name in dem Heil ist (siehe @Schnabel). Und noch viele mehr, wie sie etwa im apostolischen Glaubensbekenntnis bezeugt werden. Hier sehe ich für bekennende christliche Gemeinden wenig Spielraum für eine Verschiedenheit des Glaubens.