In dieser Zwischenzeit

Dietrich Bonhoeffer sprach vom Letzten und vom Vorletzten. Das Letzte sind die Dinge, die die Ewigkeit betreffen. Über diese wissen wir eine ganze Menge. Und zuweilen gibt es auch im Vorletzten, in unserer Zeit auf Erden hier, einen kleinen Vorgeschmack vom Letzten. Der Balanceakt der Zwischenzeit ist derjenige, dass wir uns von keinem der zwei Extreme gefangen nehmen lassen. Weder von der Weltflucht noch von der Verweltlichung. Wenn sich manche Christen heutzutage wünschen, dass sich Institutionen des Staates, wie etwa Armee oder Polizei, entwaffnen lassen sollen, damit nur noch die Feinde der Demokratie Macht ausüben können, so ist dieser verlogene Pazifismus eine Möglichkeit der Weltflucht, eine Realitätsverweigerung, dass es eben auch noch Unrecht gibt in dieser Zwischenzeit, und dass diese Institutionen dafür geschaffen sind, um rechtschaffene Bürger vor Willkür zu schützen. Oder wenn versucht wird, gesellschaftliche Phänomene wie Vegetarismus oder auch Ideologien wie der Kommunismus mit biblischen Argumenten zu untermauern, so handelt es sich um Verweltlichung, denn das weltliche Denken wird in die Bibel hineingelesen, statt dass diese aus sich selbst heraus ausgelegt wird. Beide Extreme sind gleichermaßen trügerisch, denn sie versuchen, die Spannung in dieser Zwischenzeit aufzulösen, indem beide parallelen Wahrheiten des „schon – noch nicht“ auf dieselbe Linie heruntergebrochen wird. Entweder indem man versucht, auf der Erde wie im Himmel zu leben – oder indem man den Himmel irdisch definiert.

In der Spannung leben – das ist oft anstrengend. Aber jeder Mensch lebt in bestimmten Spannungsfeldern, und gerade diese Spannung ist ein Hinweis darauf, dass der Mensch eigentlich nicht (nur) für diese Zeit hier auf Erden geschaffen ist. Diese Zwischenzeit ist eine Zeit der Vorbereitung, der Besinnung, der Sehnsucht, damit wir für die Ewigkeit bereit werden. Es gibt in dieser Zwischenzeit kein anhaltender Extremzustand. Nach dem durch Alkohol erzeugten Höhenflug folgt der Absturz und der Kater. In der Freude ist immer auch ein bittersüßer Beigeschmack, der uns daran erinnert, dass dies hier noch nicht das Letzte ist, sondern das Vorletzte und die Vorfreude auf die eigentliche Freude. Auch im Frieden ist oft schon latent die nächste Verstimmung angelegt, denn oft müssen beide Seiten um zu einem Kompromiss zu gelangen, auf wichtige Dinge verzichten, die ihrerseits wiederum zur Eifersucht anstacheln. Die Schönheit eines Regenbogens wird durch den Zwiespalt von Regen und Sonne erzielt, es ist das Zusammenfallen von angenehmen und wichtigem aber weniger angenehmem Wetter. Ähnliches gilt für den Sonnenuntergang. Auch dieser ist – zum Glück – nicht von Dauer, sondern gerade auf der Spitze der untergehenden Sonne zu finden. Das farbenfrohe Schauspiel wird durch stetige Veränderung der Farben hervorgerufen. Deshalb ist auch das live-Erlebnis um ein Vielfaches beeindruckender als das statische Festhalten eines einzelnen Moments durch ein Foto oder Bild. Gute Musik lebt von Disharmonien, welche Spannung erzeugen und im just richtigen Moment wieder aufgelöst werden. Ungewissheit, düstere, zwielichtige Momente können auch in einem Buch eine Spannung erzeugen, und diese Spannung kann gerade den Unterschied zwischen besonders interessanten und weniger interessanten Leseerlebnissen ausmachen. Dasselbe gilt auch für den abendlichen Spaziergang im Wald. Das Spiel von Licht und Schatten, verschiedenen Grautönen, das Rascheln im nahen Gebüsch, der Wind im Blätterdickicht, all das zusammen erzeugt ein wohliges Gespanntsein, das sich durch das Ende des Dunkels im vollen Licht oder im Schein der Straßenlampe wieder auflöst und das Erlebte länger im Gedächtnis behalten lässt. Der wohlige Schauer eines warmen Bades oder einer Rückenmassage am Ende eines anstrengenden Arbeitstages schenkt ein Ende des Ver-Spannt-Seins und sorgt für einen besonderen Moment, den man ohne die Anstrengung und Anspannung davor nicht gleichermaßen genießen könnte.

Kurz – in dieser Zwischenzeit sind wir Zwischenwesen, die den steten Wandel, die stete Abwechslung benötigen, um gesund auf unsere Umgebung reagieren zu können. Diese Abwechslung im Vorletzten bereitet uns für die Ewigkeit im Letzten vor. Ewige Freude. Ewige Liebe. Ewiger Frieden. Ewige Gemeinschaft mit Gott. Ewiges Lob Gottes. Ewige Feier der Erlösung. Ond etz sag amol, werd des denn niamols fad? Als Zwischenwesen leben wir im Raum-Zeit-Kontinuum, einfacher gesagt in der Raumzeit. Wir können alles immer nur als eine aufeinanderfolgende Reihe von einzelnen Ereignissen wahrnehmen. Immanuel Kant hat etwa bezweifelt, ob man die Tatsache von Raum und Zeit tatsächlich beweisen könne; er meinte, dass einfach unser Gehirn so gestrickt sei, dass wir alles als räumlich und zeitlich in unserem Denken einordnen würden. Aber stellen wir uns mal vor, wir befinden uns bei Gott – also außerhalb der Raumzeit. Plötzlich können wir alles auf einmal wahrnehmen. Nicht mehr nacheinander. Alles gleichzeitig, und dann erst noch so ohne Ende. Die Unendlichkeit von Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung, alles auf einmal. Stell Dir den einen, schönsten Moment Deines Lebens vor. Freude hat in unserem zwischenzeitlichen Leben mit der Auflösung einer Spannung zu tun. Und dann stell Dir vor, dieser eine Moment inklusive der Freude, inklusive der Erinnerung an die Spannung, inklusive allem was zu diesem Moment gehört, alles zusammen wird für immer konserviert, und zugleich sind wir nicht mehr Raumzeitwesen, sondern Ewigkeitswesen, die nicht mehr auf all das Irdische angewiesen sind.

Ich weiß nicht, ob diese Vorstellung mit der Zukunft übereinstimmt. Vermutlich ist sie viel zu irdisch, viel zu klein, viel zu zwischenzeitlich. Aber es ist eine der möglichen denkbaren Vorstellungen, die wir uns machen können, um unsere Vorfreude auf die Ewigkeit zu stärken. Und ich denke, dass es diese Vorfreude wert ist, dass wir dafür auch versuchen, uns dies vorzustellen. Es ist nicht immer einfach, aber es ist einfach immer wertvoll, über die Ewigkeit in der Herrlichkeit Gottes nachzudenken. Diese Gedanken über das Letzte helfen uns, dass wir uns im Vorletzten auf die vorletzten Dinge konzentrieren. Sie helfen uns, uns darauf zu fokussieren, damit möglichst viele Menschen noch mit in diese Ewigkeit bei Gott kommen können. Ewigkeit ohne Gott ist höllisch schrecklich, die wünschte ich niemandem.

Dieser Blog-Beitrag von Jonas Erne erschien zuerst auf Jonas Erne - Der Blog . Lies hier den Original-Artikel "In dieser Zwischenzeit".

Über Jonas Erne

Ich bin Ehemann, Vater, Theologe, Gemeindereferent, Vielleser. Auf meinem Blog geht es um Gelesenes, aber auch um die Auseinandersetzung mit Fragen des täglichen Lebens, mit der Kultur und der Bibel. Hin und wieder gibt es auch kreative Texte wie Gedichte, kurze Geschichten und mehr.

3 thoughts on “In dieser Zwischenzeit

  1. Vielleicht war früher manches klarer, was hier angesprochen wird. Da hat man genau gewusst und auch in Liedern gesungen, daß wir hier im Erdental sind und und hier bewähren müssen, um einmal den Himmel zu erlangen. Aber wichtig wäre auch jetzt schon den Himmel zu erleben, im Idealfall so sehr wie das eben hier möglich ist. Einigen ist das zu einem beträchtlichen Teil gelungen. Erleben ist viel mehr als nur darüber nachzusinnen. Jemand, der den Himmel stark erlebt, der ist auch schon genug geerdet, daß er weiß, das Ideal ist hier nicht zu haben auch schon deswegen nicht, weil nicht alle Menschen entsprechend geistlich gesonnen sind. Da es reichlich Menschen gibt, die Ungutes mit anderen vorhaben, brauchen wir freilich Polizei und auch Militär. In welchem Maße, das ist eine andere Frage.
    Was den Vegetarismus angeht, so findet man den schon im AT bei den dreien, die einige Zeit fleischlos gelebt haben und wie berichtet wird, sich dabei besser fühlten. Das Problem ist nur, daß manche Vegetarier meinen, die Welt würde dadurch besser. Aus christlicher Sicht braucht man nicht vegetarisch leben. Aber angesichts der heutigen Massentierhaltung mit allen negativen Folgen, die es da gibt, wäre es sinnvoll seinen Fleischkonsum einzuschränken, mal ganz abgesehen davon, daß schon seit Jahren bekannt ist, daß das übliche Schnitzel beim Braten sehr zusammenschrumpft, also das Fleisch mehr Wasser enthält als es bei gesunder Tierhaltung der Fall ist. Auch das sind Gesichtspunkte.
    Was die Weltflucht angeht, so kann die sinnvoll sein. Ich erinnere da an die Wüstenväter. Aber so etwas ist nicht jeden gegeben und wird auch nicht von jedem verlangt, nicht einmal, daß jeder Christ ins Kloster gehen müsse. An solchen Orten wird es weniger Verführung von außen geben, aber das eigene mehr oder weniger sündhafte Herz nehmen wir dorthin auch mit.

  2. Bonhoeffer erlebte ja bekanntlich das Leben im Vorletzten, sein Blick ruhte auf dem Letzten.
    Diese Zwischenzeit wird für immer mehr Menschen und auch Tieren unerträglich, diese Spannungen und Gegensätze, die jeder Mensch erlebt, bringen oft immer tiefere Zerstörung, kaum noch zu ertragen, soviel Leid, soviel Boshaftigkeit in Wort und Tat unter den Menschen. Welche leiden müssen sehen das Ende der Welt kommen, und welchen es gut geht, wollen die Welt für sich ewig erhalten,auch das ist eine Zwischenzeit, mit unterschiedlichen Erwartungen.

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