Ein Antwort Martin Luthers an Johann Heß 1)zur Pest (1527) hat in den letzten „Corona-Monaten“ des Öfteren die Runde gemacht 2), weil diese Antwort so ausgewogen und weise ist und so gut in unsere Zeit passt, wo es einige Christen gibt, die sich vor lauter Sorge von aller Gemeinschaft zurückziehen und andere ebensolche Christenmenschen, die meinen, sich in pubertierender Tollpatischgkeit ihre vermeintliche Glaubensstärke beweisen zu müssen …
Zu beiden sagt Luther:
Und denke so: Wohlan, der Feind hat uns durch Gottes Verhängnis Gift und tödliche Krankheit herein geschickt, so will ich zu Gott bitten, daß er uns gnädig sei und wehre. Danach will ich auch räuchern, die Luft reinigen helfen, Arznei geben und nehmen. Orte und Personen meiden, da man meiner nicht bedarf, auf daß ich mich selbst nicht verwahrlose und dazu durch mich vielleicht viele andere vergiften und anstecken und ihnen so durch meine Nachlässigkeit Ursache des Todes sein möchte. (…). Wo aber mein Nächster mein bedarf, will ich weder Orte noch Personen meiden, sondern frei zu ihm gehen und helfen, wie oben gesagt ist. Siehe, das ist ein rechter, gottesfürchtiger Glaube, der nicht dummkühn noch frech ist und auch Gott nicht versucht.
[Martin Luther: Ob man vor dem Sterben fliehen möge (1527). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 4164 (vgl. Luther-W Bd. 6, S. 242) (c) Vandenhoeck und Ruprecht]
Diese bekannte Aussage gegen Ende seines Artikels ist auch heute noch in seiner Ausgewogenheit und Weisheit maßstabssetzend:
- Luther schreibt die Pest (das „Gift und tödliche Krankheit“) „dem Feind“ zu, der sie aber „durch Gottes Verhängnis … herein geschickt“ habe – keine s/w-Zuschreibung des „Schicksals“ an Gott oder den Teufel
- wiewohl Gott es zugelassen habe, will er bitten, dass Gott gnädig ist – kein Fatalismus wegen Gottes Souveränität
- neben dem Gebet, aber bleibt Luther bei dem, was gesunder Menschenverstand gebietet: desinfizieren (räuchern des Hauses, Luft reinigen), Arznei verabreichen und „social distancing“ („Personen meiden, da man meiner nicht bedarf“) – keine Reduktion auf fromme Einseitigkeit und Gebete
- abschließend jedoch betont er – und das war die Hauptstoßrichtung auch seines eigenen Verbleibs in Wittenberg – dass man sich kümmern müsse: „Wo aber mein Nächster mein bedarf, will ich weder Orte noch Personen meiden, sondern frei zu ihm gehen und helfen,“ – kein ängstlicher Rückzug trotz o.g. ‚praktischer Vernunft‘ der Vermeidung, sondern Glaubensmut, ohne Tollkühnheit …
In Summe: 1. Gott ist souverän, 2. Gebet ist (trotzdem) angemessen, 3. Gebet alleine ‚reicht aber nicht aus‘, sondern medizinische und hygienische Umsicht kommt hinzu (sozusagen: ora et labora …), 4. Vermeidung unnötiger Kontakte zum ggs. Schutz, bei gleichzeitig 5. glaubensvoller Zuwendung den Kranken und Hilfsbedürftigen gegenüber!
Mehrfach betont Luther die beiden naheliegenden Seiten in der Frage, ob man denn vor dem Sterben fliehen könne (‚möge‘) …
- dass man, wenn man kein Amt habe und keine Hilfe sei, oder ein ängstliche Natur habe selbstverständlich fliehen dürfe – aber dass man auch auch nicht tollkühn sein solle (das wäre ‚Gott versuchen‘)
- sondern dass man bleiben solle, wenn man dazu von Gott befähigt wird. Er vergleicht es mit dem Schutz im Winter, oder der ggs. Hilfe bei einem brennenden Haus, etc.
Nach dieser starken Einleitung zur Frage, ob man dem Sterben fliehen können, dürfe, solle …, kommt Luther beispielsweise zu dieser Darlegung der beiden Seiten …
(…) Das sei gesagt zur Vermahnung und zum Trost wider das schändliche Fliehen und Erschrecken, womit der Teufel uns anficht, wider Gottes Gebot an unserm Nächsten zu tun und allzusehr auf der linken Seite zu sündigen.
Umgekehrt sündigen etliche allzusehr auf der rechten Seite und sind allzu vermessen und keck, so daß sie Gott versuchen und alles anstehen lassen, womit sie dem Sterben oder der Pestilenz wehren sollten. Sie verachten es, Arznei zu nehmen und meiden nicht Stätten und Personen, welche die Pestilenz gehabt haben und von ihr genesen sind, sondern zechen und spielen mit ihnen, wollen damit ihre Kühnheit beweisen und sagen, es sei Gottes Strafe: wolle er sie behüten, so würde ers wohl ohne alle Arznei und unsern Fleiß tun. Solches heißt nicht Gott trauen, sondern Gott versuchen. Denn Gott hat die Arznei geschaffen und die Vernunft gegeben, für den Leib zu sorgen und sein zu pflegen, daß er gesund sei und lebe. (…)
Nicht so, meine lieben Freunde, das ist nicht fein getan. Sondern brauche die Arznei, nimm zu dir, was dir helfen kann, räuchere Haus, Hof und Gasse, meide auch Personen und Stätten, da dein Nächster dein nicht bedarf oder genesen ist, und stelle dich als einer, der ein allgemeines Feuer gern dämpfen helfen wollte. (…)[Martin Luther: Ob man vor dem Sterben fliehen möge (1527). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 4162-63 (vgl. Luther-W Bd. 6, S. 240-241) (c) Vandenhoeck und Ruprecht]
Hier können die „linken und rechten“ Jünger des Jahres 2020 a.D. von Luther lernen ihre eigene Einsichten bisweilen etwas mehr zu relativieren und aufeinander zu hören! 4)
Abschließend fügt Luther folgende Zusammenfassung an:
Wenn man sich so in einer Stadt verhielte, daß man kühn im Glauben wäre, wo es der Nächsten Not erfordert, und umgekehrt vorsichtig, wo es nicht notwendig wäre, und ein jeglicher dem Gift wehren hülfe, womit man könnte, so sollte gewiß ein gnädiges Sterben in solcher Stadt sein.
Aber wenns so zugeht, daß ein Teil allzu verzagt ist und seinen Nächsten in der Not flieht, der andere Teil allzu dummkühn und hilft nicht wehren, sondern mehren, da hat der Teufel gut machen und muß wohl das Sterben groß werden.
Denn auf beiden Seiten wird Gott und Mensch höchlich beleidigt, hier mit Versuchen, dort mit Verzagen; so jagt denn der Teufel den, der da flieht, und behält gleichwohl den, der da bleibt, so daß ihm niemand entläuft.
[Martin Luther: Ob man vor dem Sterben fliehen möge (1527). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 4165 (vgl. Luther-W Bd. 6, S. 242-243) (c) Vandenhoeck und Ruprecht]
Der historischen Hintegrund wird in den „Editorische Bemerkung“ (Luther-W Bd. 6, 336) erläutert: 3)
Diese Schrift ist veranlaßt durch einen Ausbruch der Pest, zunächst in Breslau, dann aber auch in Wittenberg. Unter dem Eindruck des großen Sterbens wandte sich der Reformator Schlesiens, Joh. Heß, im Namen seiner Amtsbrüder an Luther mit der Frage, wie man sich in einer solchen Anfechtung verhalten solle. Luther antwortete zunächst nicht. Erst als auch in Wittenberg und anderswo von einem Ausbruch der Pest die Rede war, griff er zur Feder. Er schrieb in einer Zeit eigener Krankheit und schwerer Anfechtung. (…)
Da kam die Pest nach Wittenberg selbst. Die Universität verließ die Stadt, Luther blieb als einziges Mitglied des Lehrkörpers, zusammen mit Bugenhagen, dem Stadtpfarrer. Er blieb auch, nachdem der Kurfürst ihn ausdrücklich aufgefordert hatte, der Universität zu folgen, sie könne seinen Rat nicht entbehren. Luther hielt sich auch keineswegs vom Umgang mit den Kranken zurück, die Frau des Bürgermeisters starb beinahe in seinen Armen. (…)
Denn was Luther – vorher und nachher – schreibt, ist zwar auch geleitet von gesundem Menschenverstand und maßvoller Einsicht, aber entscheidend doch bestimmt vom Evangelium her. Auch als in Wittenberg die Pest ausgebrochen ist, hält er – und zwar unter genau denselben Voraussetzungen wie vorher – am Recht zum Fliehen bzw. an der Pflicht zum Bleiben fest. Das Große an dem Luther dieser Situation ist eben, daß er auch unter dem Eindruck der Seuche nicht falschem Heldenmut das Wort redet und unverändert bei dem bleibt, was er unter anderen Voraussetzungen als schriftgemäß und richtig erkannt hat.
Anmerkungen:
1) Voran geht eine Zuschrift an Johann Heß, in welcher Luther darlegt, daß er bisher nicht habe schreiben können (»Gott der Allmächtige hat mich etliche Zeit lang in der Zucht und Staupe so hart gehalten, daß bei mir nicht viel Lesens und Schreibens hat sein können«). Er habe darauf vertraut, daß Heß selbst eine Antwort auf die an ihn gestellten Fragen zu geben imstande sei. Aber auf die geschehene Mahnung hin, und weil inzwischen »auch bei uns allhier des Sterbens Geschrei gehet«, habe er zur Feder gegriffen.
[Martin Luther: Ob man vor dem Sterben fliehen möge (1527). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 4176 (vgl. Luther-W Bd. 6, S. 338) (c) Vandenhoeck und Ruprecht]
2) Martin Luther: Ob man vor dem Sterben fliehen möge (1527), [WA 23, 338–372]
3) [Martin Luther: Ob man vor dem Sterben fliehen möge (1527). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 4172-74 (vgl. Luther-W Bd. 6, S. 336-337) (c) Vandenhoeck und Ruprecht]
4) vgl. die aktuelle Ermahnung in: https://brink4u.com/2020/11/09/die-hauptsache-muss-hauptsache-bleiben/
Dieser Blog-Beitrag von Uwe Brinkmann erschien zuerst auf brink4u . Lies hier den Original-Artikel "von Luther Ausgewogenheit lernen …".
Beherzigenswert in Zeiten von Corona.
Nebenbei: Offenbar war schon zu Luthers Zeit der Irrglaube verbreitet, Gott habe die Arznei geschaffen. Diese Irrglaube ist ja in der heutigen Zeit unter denen, die Christen sein wollen, so stark geworden, dass man primär die Hoffnung auf die Medizin setzt.
Wo eben wahrer Glaube fehlt bzw. schwach ist kann man natürlich auch keine „Heilung von Gott“ erwarten.
Aber das Prinzip sollte klar sein: Göttliche Heilung geschieht durch den Geist, nicht durch den Stoff!
https://manfredreichelt.wordpress.com/2016/06/23/koennen-aerzte-suenden-vergeben/
Das ist ein schlechter Vergleich.
Pest als reale sichtbare Bedrohung, bestätigt durch Leichenberge.
Luther hatte es mit einer realen Pest zu tun, so konnte er seinen Glauben in diese Realität einbinden.
Was hätte Luther gesagt wenn er herausgefunden hätte das die Pest ein Betrug des Feindes war und Gott den Feind gewähren lässt , damit die Menschen sich aufmachen um die Wahrheit zu suchen?
Nun, bei Luther stapelten sich sicher die Leichenberge und der ,,gesunde Menschenverstand“ konnte sich an Beweisen orientieren. Was aber wenn die Pest grasiert, aber die Leichenberge fehlen, was hätte er dann gesagt?
Die Pest war real, darum konnte Luther mit Recht so reden, anders hätte er geredet bei einer unsichtbaren Pest.
—Hier können die „linken und rechten“ Jünger des Jahres 2020 a.D. von Luther lernen ihre eigene Einsichten bisweilen etwas mehr zu relativieren und aufeinander zu hören! 4)—
Ne, da kann keiner von lernen, denn der Feind ist listiger geworden, er braucht keine Pest mehr, ein Schnupfen tut’s auch.
Andere Krankheit andere Regeln, heute kommt das Gift aus der Medizin, das wußte Luther damals noch nicht.
Ja, der Teufel ist sehr trickreich, er braucht nicht immer eine Pest um die Welt in den Abgrund zu stürzen, manchmal genügt ein Schnupfen.
—so jagt denn der Teufel den, der da flieht, und behält gleichwohl den, der da bleibt, so daß ihm niemand entläuft.—
Und auch hier neue Spielregeln aus des Feindes Trickkiste, er sperrt sie gleich alle ein, damit ihm niemand wegläuft.
Die Realität der Vergangenheit lässt sich nicht in gleicher Weise in die Realität der Gegenwart einbauen.
Alles muss immer neu gedacht werden, auch wenn es mühselig ist, aber Wahrheit lässt sich auch nur auf die jeweilige Situation anwenden, und nicht als Dauerinstrument. damit wäre Luther sicher auch nicht einverstanden.
Wer an Verschwörungstheorien glaubt und die Gefährlichkeit von Covid-19 leugnet, leidet unter Realitätsverlust.
Es gibt Menschen bei denen ist der Realitätsverlust ein Dauerzustand 😁
Ein schlichter, verständlicher und bemerkenswerter Beitrag.
Luther hat die Bibel nicht nur übersetzt.
Er hat Worte Jesu auch konkret in der Welt umgesetzt.
Geerdet mit beiden Füßen.
Gearbeitet mit beiden Händen.
Bedacht mit Verstand.
Gott und Mensch geliebt mit Herz.
Um Vergebung gerungen vor Gott.