Nachdenkzeit

Zieht Trauerkleidung an, jetzt ist nicht die Zeit, eine Party zu feiern oder ein Kirchenjubiläum, Geburtstag, Namenstag oder sonst irgendeinen Tag.

Stattdessen ist jetzt eine ideale Zeit, alles einmal Revue passieren zu lassen, darüber nachzusinnen, wie alles anfing und wo wir gerade jetzt angekommen sind. Welchen Stellenwert nimmt Christus, der Auferstandene, in der Gemeinde, deinem Leben, deiner Ehe ein – steht deine Frau höher als Gott? — dein (Angel-)Verein oder dein Ansehen sind wichtiger?

Enttäuschung macht sich breit. Gott, ich hatte mir das alles so anders vorgestellt, warum verlief mein Leben so, wieso erhörtest du nicht die Gebete? Als es darum ging, dass jemand weiterlebt?

Denn wir halten Menschen fest mit Zähnen und Klauen, gerade so, als hätten wir ein Recht darauf, auf langes Leben und Glück und Heil.

…dann setzen wir ihn auf die Anklagebank und er sitzt da und schweigt, schweigt lange?

Gott wo warst du und was machst du gegen den Hunger auf der Welt?
Der Anklagevertreter wurde mutiger und schreitet nun vor der Anklagebank auf und ab – wie im Film – er postiert sich und beugt sich vornüber und wird dem Angeklagten gegenüber sogar laut, so dass die Zuschauer im Gerichtssaal aufschrecken, nun mit überschlagender Stimme: „Wo warst du??? Als ich dich brauchte, dich anrief, zu dir rief und schrie und betete, wo bist du gewesen??“

Doch Gott blieb ganz ruhig, so als hörte er gar nicht zu, als gäbe es ihn überhaupt nicht, als berührte es ihn nicht, ist er denn Luft??

Gott wo bist du?

Nun, wenn er nicht da ist, anklagen kann man ihn wenigstens, das ist ja das allermindeste, was man dürfen wird, wenn es ihn schon nicht gibt, kann man ihm wenigstens noch irgendetwas anhängen.

Die Christen sagen, er sei gut, hätte Kranke geheilt, Sünden vergeben – ihm stockt der Atem, Sünden, bei dem Wort überkommt ihn Schwindel, welche Sünden sind gemeint, die Sünden der Neuzeit wie fett essen, schnell fahren, Holz oder Kohle verbrennen oder einen PS-starken Verbrennungsmotor mit zu lautem Auspuff durch die Spielstraße fahren, eine Brücke durchs Naturschutzgebiet bauen und Wälder abholzen, Gott, sind das die Sünden??“ erhob er seine Stimme, er wusste wohl, dass die althergebrachten Sünden im Buch Gottes aufgelistet standen: Unzucht, lügen, morden, Neid, Lieblosigkeit, Egozentrik, Unglaube und was noch alles als unfromm erschien.

Gott wird auf die Anklagebank gesetzt

Nun, die Frommen waren ja eben gerade nicht geeignet, als Vorbild zu fungieren, hatten die nicht genug Dreck am Stecken, angefangen von den Kreuzzügen bis hin zu den Priestern, die Jungs oder Mädchen miss….brauchen? Deswegen wandte er sich ab, erklärte er…

Gott, der immer noch regungslos auf der Anklagebank saß, meinte er zumindest, denn wo sonst sollte Gott sein, wenn nicht auf seiner langgestreckten, selbstgezimmerten Anklagebank, die er im Studio – seinem eigenen Studio – eingerichtet hatte. Sie war grell beleuchtet, damit alle Szenen gut einfangen werden konnten, die Mimik, wenn der Mensch ihn anschreit, niederbrüllt. Lächelt er, verzieht er eine Miene, ist er regungslos, schaut er auf oder blickt er nach unten? – alles wichtige Körpersignale….

Dachte er, als er seine Tirade ansetzte, jedes Jahr hatte er ein paar Argumente mehr gegen Gott gesammelt, bis er im Alter von 70 Jahren bereits ein sehr gefestigter Ankläger war, der genau wusste, wie er Gott—so seine Meinung – kreuz und quer gleichzeitig in die Enge treiben konnte.

Wäre da nicht die Enge in seiner eigenen Brust, welch ein stechender Schmerz. Selten, aber immerhin, man achtet darauf. Wie lange habe ich noch zu leben, Gott?Fragte er ganz beiläufig.

Nicht vom Thema ablenken lassen, dranbleiben, Gott ist schuld, daran, dass es uns nicht besser geht, war seine These, wir haben zu lange gewartet und gebetet und gehofft, jetzt müssen wir uns selber helfen, selber das Rad wechseln, die Dachziegel austauschen, unser Leben meistern bis hin zu den ganz großen Zielen, die wir ja auch noch zu bewältigen haben:
Unser Engagement zur Weltrettung der Eindämmung der Klimakatastrophe, jeder hat seinen kleinen Anteil daran – sagte er sich.

Eigentlich habe ich ganz gut gelebt, resümierte er, wenn ich so zurückblicke, habe ich doch Gutes getan, soviel sich mir Gelegenheit bot, der Nachbarin den Rasen gemäht, gemulcht, gezupft, Einkaufen gegangen für die Mutter, sie gepflegt, Geld gespendet für die Hungerhilfe und bei der freiwilligen Feuerwehr – im Gegensatz zu vielen Mitbürgern…..habe ich auch mitgearbeitet. In meiner Freizeit.

Er definierte die Zeit nach dem Schlafen und der notwendigen Arbeit als Freizeit. Davon hatte er besonders samstags, sonntags und an Feiertagen viel. Urlaube auch noch dazugerechnet.

Sein Selbstbild war –bis auf ein paar kleine Dellen – ganz ausgezeichnet, er hielt sich im großen und ganzen für einen passablen, tauglichen Lebensgefährten seiner Mitbewohner – gelegentliche Tobsuchtsanfälle, die ihn auch nur begründet überkamen – gingen in die verblassende Erinnerung zurück. So gesehen war diesbezüglich alles relativ sauber und aufgeräumt, er lebte ein gutes Leben.

Gott auf der Anklagebank

Nicht wie die auf der Anklagebank, die lieblos mit ihm umgegangen waren, ihn als Kind achtlos auf die Seite gedrängt hatten, ihm seine Spielsachen gestohlen und beschädigt liegen gelassen hatten, ihn gedemütigt hatten und in der Schule ging genau dasselbe Spiel von vorne los. Wieder ging es darum, entweder oben oder unten zu liegen und zu gewinnen oder endgültig – so dachte er damals – zu verlieren. Und er verlor so viel.

Wer verliert ist draußen, so war das bei den Spielen damals, wer nicht gewählt wird, muss warten bis er dran kommt, deswegen wollte er unbedingt hoch, nach oben kommen, um es allen, auch seinem Vater, einmal zu zeigen.

Zeig es ihnen, was du kannst und wer du bist und wie du eigentlich bist! Zeig es ihnen! Ha!!!

Siehst du, wer ich bin und wie ich bin?? Siehst du es? Hast du mich gesehen?

Seine Seele war eine zerrüttete, zerklüftete Landschaft mit tiefen Einbuchtungen wie Canyons, die die Schluchten ins Tal hinein geschnitten hatten. Das war die Erinnerung an die Vergangenheit, wenn auch einiges davon verblasste, war es doch frisch unter der trockenen Haut ähnlich wie Vulkangemisch, das scheinbar verkrustet und starr ist, aber in Wirklichkeit jederzeit ganz tief drinnen wach. Es ist so wach in dir.

Ist da ein Gott, der mich liebt, der mich sieht?

“Meine Augen sahen deine Urform”,
antwortet der, den er auf der Bank vermutet hatte.

Er wollte gerade losschwallen, die Worte lagen ihm bereits auf den Lippen, eigentlich sollte ein ganzer Strom an Gedanken kommen, jedoch die Zeit tickte und nichts geschah, er hielt einmal inne und dachte einfach nach. Er dachte nur nach und schwieg.
Er verstieg sich ins Nachdenken, diesmal keine Kurzschlusshandlung, keine Angstreaktion, kein schnelles Tun oder Lautwerden oder irgendeine Abwehrreaktion, um sich zu schützen, sondern er dachte einfach einmal nach.

Wer bin ich und wie kam ich hierher?

Wer bist du? Gott, bist du hier?
Hörst du mich, Gott??

„Ehe Abraham war, bin ich“ – (Jesus).

Dieser Blog-Beitrag von Rolf Oetinger erschien zuerst auf jesus-blog.de . Lies hier den Original-Artikel "Nachdenkzeit".

Über Rolf Oetinger

Über 60 Jahre alt, verheiratet, 2 Kinder. Schwabe, der eine Hessin geheiratet hat und hauptsächlich im Bereich Haushaltsauflösungen inklusive Verwertung als Selbständiger arbeitet. Christ seit 1986, was für alle Beteiligten das deutlich Bessere ist.

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