Warum wachsen konservative Gemeinden auch nicht?

S. Mark, ein guter Freund hat vor einiger Zeit einen Artikel „Warum konservative Gemeinden wachsen“ veröffentlicht. Man merkt dem emotionalen Stil des Artikels an, dass es ein Thema ist, dass den Autor intensiv beschäftigt. Ich bin jedoch mit der vorgebrachten These nicht vollständig einverstanden. Der erste Teil ist klar: Liberale Gemeinden können nicht wachsen. Aber der zweite Teil: Konservative Gemeinden wachsen – da bin ich mir nicht ganz so sicher. Schon einige Zeit vor diesem Artikel habe ich mit Mark über meine Einwände gesprochen und er weiß auch, dass ich zu seinem Artikel eine Art Replik erstellen wollte, was heute nun der Fall ist.

Ich bin nicht überzeugt dass die These „Hauptsache konservativ, Gott wird dann schon das Wachstum schenken“ ein Selbstäufer ist. Ich habe es oft anders erlebt. Ich habe auch konservative Gemeinden sterbden sehen. Wenn ich also lautstark widersprechen muss, dann nicht um Br. Mark zu beschämen, sondern weil der fehlende Wachstum bibeltreuer Gemeinden eben mein Herzschmerz ist.

Und damit sind wir mitten im Artikel: Was ist überhaupt konservativ? Wenn ich am Artikel von S. Mark etwas auszusetzen hätte, dann genau das Fehlen einer konkreten Definition, was er mit konservativ meint. Ich möchte nicht so wage bleiben, aber den Begriff weit fassen, mir scheint, weiter als Mark es tut: Lasst uns für diesen Artikel konservativ als all das definieren, was nicht „theologisch liberal“ ist. Alles was an der Wahrheit der Bibel festhält, im Grunde das, was noch vor wenigen Jahren eindeutig als Evangelikal bekannt war, und damit möchte ich mit konservativ wirklich all „die üblichen Verdächtigen“ miteinschließen: Brüdergemeinden, ob nun offen oder geschlossen, Reformierte, Presbyterianer, Baptisten, Pfingstler, EFGs, FEGs, ICFs, Liebenzeller, Lutheraner, what ever, (ich hoffe jeder konnte sich in dieser Aufzählung finden, aber erweitere sie gerne). Einfach alle, die daran festhalten, dass Gott wahrhaft durch sein Wort spricht, Jesus auferstanden ist, auch heute noch Rettung möglich ist.

In den letzten Jahren konnte ich mich mit einigen konservativen Gemeinden aus der Umgebung (unterschiedlich intensiv) vertraut machen. Manche Gemeinden besuchte ich relativ häufig, aus anderen kennt man einige Personen, andere besuchte man gelegentlich. Ich würde unsere Gegend als ein evangelikales Ballungsgebiet bezeichnen. Es gibt wirklich eine ganze Menge evangelikaler Gemeinden jeglicher Couleur: In Trossingen gibt es einige verschiedene Rumänen-Deutsche Gemeinden, in Schwenningen große Gemeindehäuser pfingstlerisch geprägter Gemeinden, in Villingen eine große russlanddeutsche Baptistengemeinde. Es gibt auch eine starke Gemeinschaft der Liebenzeller und sogar (gegenwärtig) zwei reformierte Gemeinden. Was unterproportional vertreten zu sein scheint, sind Brüdergemeinden. 15 Jahre wohne ich in dieser Gegend nun und was ich nicht beobachten konnte ist wirklich relevantes Mitglieder-Wachstum auch nur in einer dieser Gemeinden! Wenn ich hier einige konkrete Orte oder persönliche Eindrücke wiedergebe, dann wiederum nicht, um die Gemeinden bloß zu stellen, sondern um meine These mit konkretem Futter zu untermauern.

Es gab z.B. eine vielversprechende Reformierte Gemeinde in der Gegend. Doch sie zersplitterte an der Tauffrage. Eine Zersplitterung erlebte auch die Pfingstgemeinde in unserem eigenen Ort in Königsfeld. Die EFG in Mönchweiler erlebte Wachstum vor allem durch Zugänge aus anderen Gemeinden und Gruppen. Verlor gleichzeitig einige Menschen an das ICF. Eine stark wachsende Gruppe in der Gegend, aber so weit ich das wahrnehmen kann, lebt diese Gruppe von Menschen, die bereits Christen waren bevor sie sich dem ICF anschloßen. Hier berichtet ICF-Villingen von ihrem Wachstum in einem Video (Link). Die Liebenzeller Gemeinschaft ist eine Gemeinde die Wachstum erlebt, aber viele schlossen sich dieser Gemeinde an, weil ihre Heimatgemeinden endgültig in die Liberalität entglitten sind. Überhaupt empfinde ich die Liebenzeller Gemeinschaft als die stabilste Gemeinde in unserer Gegend, vielleicht darf ich dazu auch meine Heimatgemeinde zählen. Insgesamt hat unsere Gemeinde, wenn auch wenig, so doch wirklich echten Wachstum erlebt, das heißt nicht nur Menschen aus „Eigengewächsen“ oder aus „anderen Denominationen“ dazugewonnen, sondern wirklich Menschen aus der Welt dazu gewonnen. – Doch diese Gruppe (zu der ich auch mich zählen darf) ist gering, und man würde sich deutlich mehr Frucht der evangelistischen Arbeit wünschen.

Die Beobachtungen bedürfen einer Bewertung. Gibt es Ursachen für fehlenden Wachstum? Einer ruft: „Endzeit“ und ein anderer „Materialismus“ und beide scheinen nicht unrecht zu haben, und treffen meines Erachtens doch nicht ganz ins Schwarze! Ich glaube auch dass ein Pauschalurteil kaum hilft. Die Einblicke in die unterschiedlichen Gemeinden gaben häufig sehr unterschiedliche Ursachen ab. Die reformierte Gemeinde z.B. wirkte dogmatisch äußerst korrekt und reif, aber alles war geprägt von der einen verantwortlichen Familie. Man musste einfach mit dem Pastor verwandt sein, um irgendwie eine offene Tür zu bekommen. Schlimmer war es aber, dass man kaum geschafft hat, den Glauben an die nächste Generation weiterzugeben. Die Abtrennung vom Glauben der Eltern von ihren eigenen Kindern kann man wirklich regelmäßig in den unterschiedlichsten Kirchen beobachten. Da ist eine Kirche voll von „Erwachsenen“ und kaum einer nimmt seine Kinder mit. Die noch jungen Kinder ließ man daheim, da sie mit den Predigten nichts anfangen können. Und das praktizierte man so lange, bis die Kinder gar keine Lust mehr hatten zum Gottesdienst zu gehen

Migranten-Gemeinden stellen den „Deutschen Besucher“ (gibt es solche?) vor die Herausforderung erst die migrierte Kultur anzunehmen. Das ist sicherlich bei russlanddeutschen Gemeinden der Fall, aber er ist noch viel stärker z.B. in Rumänen-Deutschen Gemeinden vorhanden. Obwohl es hier im Umfeld offensichtlich eine große Rumänen-Deutsche Minderheit gibt, die religiös sehr aktiv ist, und mir persönlich sind 4 Rumänen-Deutsche Gemeinden bekannt, wird in jeder davon (soweit ich ermitteln konnte) der Gottesdienst vollständig in rumänischer Sprache durchgeführt. Es ist offensichtlich, dass diese Kirchen NICHT-Rumänen-Deutsche gar nicht erreichen wollen.

Der kulturelle Aspekt ist mindestens eines weiteren Artikels wert und kann hier nicht in allen Facetten betrachtet werden. Es ist jedoch nicht so, dass es irgendwie „einfach“ ist eine Kirche zu besuchen. So wie es einem Deutschen schwer fallen dürfte eine Migrantengemeinde zu besuchen, genauso schwer ist es z.B. für mich (und ich dürfte da ja bereits irgendwie zumindest ein journalistisches Interesse besitzen) in eine „Kirche“ reinzukommen. Jede Kirche wirkt für den Besucher irgendwie schon „abgeschlossen“, geradezu automatisch muss man sich als Fremdkörper vorkommen – Das kommt ja nicht einmal nur in Kirchen/Gemeinden vor, sondern auch bei Vereinen, Organisationen, Kulturangeboten – es gilt eine Hemmschwelle zu überwinden. Bei Gottesdiensten ist die Hemmschwelle aber häufig reell größer. Ich selber habe nur zwei Gemeinden erlebt, die diese Hemmschwelle bei einem Besuch wirklich verschwinden lassen konnten: Die Kompass-Gemeinde und die Liebenzeller Gemeinschaft (wenn auch nicht ganz so erfolgreich während der Corona-Zeit). Beide befinden sich in Schwenningen.

Dass konservative Gemeinden oft nicht so wachsen, wie man hoffen würde, da muss mir selbst S. Mark rechtgeben. Auch seine Gemeinde ist mir seit etwa 20 Jahren bekannt, auch wenn ich die Entwicklung der letzten Jahre eher weniger mitbekommen habe. So weit ich es im Blick habe. ist die Mitgliederzahl weitestgehend unverändert geblieben in dieser Zeit. Bei der hohen Geburtenrate russlanddeutscher Gemeinden von sagen wir 5 Kindern pro Familie müsste sich die Mitgliederzahlen der Gemeinden alle 30 Jahre etwa verdreifachen. Das zeigt, dass wir nicht nur nicht schaffen Menschen von Außen dazu zu gewinnen, sondern auch sehr viele unserer jungen Menschen verlieren. Das ist nun wohl wirklich zu beklagen.

Damit will ich nicht sagen, dass Liberale Gemeinden irgendwelche Vorzüge besitzen. Sie schrumpfen noch schneller. Eine Kirche ohne Gott, wer braucht die? 2017 hoffte die EKD in einer Studie auf (bei weiterhin angenommenen linearen ! Mitgliederrückgang) auf etwa 40 Mio. Kirchenmitglieder (römisch Katholisch und evangelisch) im Jahr 2025, doch der Rückgang entwickelte eine viel stärkere Dynamik und dieses Jahr sind es nur noch etwa 37,5 Mio Deutsche, die Mitglieder der beiden „Staatskirchen“ sind. Das kann man auch regional beobachten: Die verweltlichte Baptistenkirche Schwenningens musste genauso von der Bildfläche verschwinden wie die Methodisten Villingens.

Übrigens hat Carl Trueman erst vor einigen Wochen die gleiche Beobachtung (dass auch konservative protestantische Gemeinden nicht wachsen) in einem Artikel des FirstThings-Magazins dargestellt. Aber ich muss nicht einmal nach Amerika gehen, um meine These bestätigt zu sehen. Die gleiche Feststellung hörte ich einmal live vom bekannten russischen Prediger der Evangeliums- Christen: Michail Chorev – gehalten etwa 2006 übrigens in einer baptistischen Gemeinde in Taläcker (die übrigens ebenfalls in all den Jahren nicht gewachsen ist), – eine Gemeinde die auch Mark bekannt sein dürfte. Er berichtete darüber, wie der Jugendchor der Gemeinde sang und die (älteren Schwestern) ihn anschließend ansprachen: Welch Segen, Welch Schönheit usw und ihn ein Schmerz durchzog, dass es auch ein Großes Leiden ist, wenn etwa 2/3 der jungen Männer sich von der Gemeinde zugewandt hat…

Warum also wachsen auch konservative Gemeinden nicht? Ein Grund ist definitiv dieser: Die Autorität des Wortes Gottes wird zwar mit den Lippen bekannt, Wirken darf Gottes Wort aber häufig nur sehr wenig im Leben eines Christen. Viele Konservative haben gemerkt: Statt sich abzumühen Gottes Wort zu genügen, ist es viel einfacher (und scheinbar erträglicher die Konventionen der Gemeinderegel einzuhalten.

Über Sergej Pauli

Hallo, ich bin Sergej Pauli, Jahrgang 1989 und wohne in Königsfeld im Schwarzwald. Ich bin Ingenieur, verheiratet, habe vier Kinder. Diesen Blog möchte ich nutzen, um über das Wort Gottes und seine durchdringende Wirkung bis in unsere Zeit zu schreiben. Hast du bestimmte Fragen oder Anliegen, dann scheue dich nicht, mich zu kontaktieren. Hast du bestimmte Fragen oder Anliegen, dann scheue dich nicht, mich zu kontaktieren.

2 thoughts on “Warum wachsen konservative Gemeinden auch nicht?

    1. Hi Vlad, sorry für meine späte Antwort.
      Die Gemeinde hat sich in zwei geteilt, die Pastoren wurden von Baptisten zu Presbyterianern, ein Teil der Baptisten versammelt sich nun in einer anderen Gemeinde. Soweit ich es sehe, haben einige ihre Heimat ganz verloren und sind nun in gar keiner Gruppe glücklich. eine traurige Enwicklung.

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