Über Inkulturation und fließende Grenzen.
(Hier geht es zum ersten Teil)
Im zweiten Teil dieses Blogposts wende ich mich zunächst Jürgen Schusters Aufsatz „Christlicher Glaube im postmodern-pluralistischen Mindset“ zu. Ich finde sein „Überlegungen zum Verhältnis von Evangelium und Kultur“ ab S. 13 aus mehreren Gründen bemerkenswert:
(1) Schuster setzt sich anhand von A. Walls und L. Newbigin für die Bereitschaft ein, der Inkulturation des Evangeliums in die verschiedenen „Mindsets“ (Hempelmann) etwas Positives abzugewinnen. Gottes Sohn wird Mensch in einer bestimmten Kultur und transzendiert diese. So wahr das Evangelium universal, d.h. menschheitlich zu verstehen ist, ist es prinzipiell in jede Kultur übersetzbar. Darum kann es „nicht sein, dass Menschen zuerst eine sozio-kulturelle Grenze überschreiten müssen, bevor sie glauben können“. Dieses Anliegen ist im besten Sinne missionarisch – es geht darum, dass auch Menschen der Postmoderne Christen werden können, ohne dass ihnen Wackersteine aus vergangenen kulturellen Kontexten den Weg versperren.
Zugleich macht Schuster deutlich, dass die Sache einen Haken hat. Hier wird er sprachlich vorsichtiger, als fürchte er, Porzellan zu zerschlagen. Man muss schon genau lesen, um zu finden, worum er herumkreist: „Die Grenze zwischen Inkulturation und Synkretismus ist immer fließend“. Da fällt das verbotene Wort: Grenze. Inkulturation hat eine Grenze – fließend zwar, aber eine Grenze, jenseits derer Synkretismus („Religionsvermischung“) daraus wird. Er setzt sich später mit Thorsten Hebel an genau diesem Punkt auseinander; mich interessiert hier aber zuerst mal, vor welchem Hintergrund er (noch dazu in Aufnahme des keineswegs evangelikalen Theologen T. Sundermeier) überhaupt darauf kommt, dass es hier eine „Grenze“ gibt. Hat nicht Friedrich Nietzsche, der große Philosoph der Postmoderne, gesagt: „Wir haben den Horizont weggewischt“? Nun ja, er hat gut Lachen, der alte Nietzsche, denn er schmuggelt eine Selbstdefinition in den Satz hinein. „Wir“ sind „die den Horizont weggewischt Habenden“. Die nachfolgenden Generationen haben dieses Privileg nicht mehr – ist nicht die Postmoderne die Aufhebung aller Grenzen, aller Unterschiede, aller „Dualismen“? Wir erleben es gerade live, was passiert, wenn eine Generation tatsächlich keine Grenzen und darum auch keine Definition eines „Wir“ mehr hat: Sie schafft sich selber neue Grenzen und bedient sich zu deren Legitimierung genau derselben Machtfaktoren, die die Moderne der prämodernen Kirche aus der Hand genommen hatte. Die Kirche der Post-Postmoderne jenseits des „anything goes“ ist die „heilige Gesellschaft“. Nichts liegt näher als die Inkulturation des Evangeliums in die damit einhergehenden Machtdiskurse so zu verstehen, das „wir“ als „Kinder unserer Zeit“ es sind, die die Grenzen definieren und so das unübersichtliche und letztlich damit sinnlos gewordene Feld von Glaubenssätzen und Glaubenserfahrungen wieder handhabbar machen. Ich und meine Biographie – wir, der Fanclub unseres Lieblingspodcasts – wir als Teil der „heiligen Gesellschaft“, die festlegen, was „Evangelium“ sein oder nicht sein darf…
(2) „Das Evangelium lässt sich in keine Kultur nahtlos integrieren“, zitiert Schuster jedoch Andrew Walls. Vielmehr besitzt es eine Eigendynamik, die Kultur auch verändert. Ich übersetze diese wichtigen, aber geradezu mit der Schnabeltasse verabreichten Worte einmal etwas kerniger: Das Wort Gottes ist ein wirkmächtiges Wort. Es geht in alle Kulturen ein und lässt keine so, wie sie ist, sondern es prägt und transformiert Menschen und damit auch Kulturen. Warum? Weil es der auferstandene Herr Jesus Christus ist, der es zu uns spricht (Lukas 10,16). Darum ist das Subjekt „des Evangeliums“ nicht der Mensch, sondern Gott (2 Kor 5,20). Die unaussagbare Grenze ist exakt dieselbe, die Schuster später mit Thorsten Hebel verhandelt – die Grenze zwischen Schöpfer und Geschöpf. Diese Grenze ist christlich nicht verhandelbar. Wer sich an ihr vergreift, vergreift sich am Heiligen. Genau das ist der Grund, warum Paulus, dessen Paradestelle für die Inkulturation des Evangeliums (1. Kor 9,20-21) fast immer falsch zitiert wird, sagte: „Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne; denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer ohne Gesetz geworden…“. Er sagt nicht „den Juden ein Jude“, sondern „wie ein Jude“ (gr. ὡϛ). Er geht bei aller Inkulturation nicht darin auf, lässt sich nicht gänzlich hineinziehen, sondern bleibt als „Knecht“ oder „Handlanger Christi“ (1. Kor 4,1), der allein seinem Herrn gegenüber verantwortlich ist, widerständig. Diese Art von Widerständigkeit drückt sich heute unter den Bedingungen der Postmoderne an einem ziemlich paradoxen Punkt aus, wie ich jetzt anhand desjenigen Satzes (Schuster S. 13) demonstrieren möchte, der der Ausgangspunkt der ganzen Kontroverse gewesen ist:
(3) „Gott hat als Weg seiner Selbstoffenbarung an die Menschheit nicht die Buchwerdung seines Willens, sondern die Menschwerdung seines Sohnes gewählt.“ Dieser Satz Jürgen Schusters war es, den Michael Diener in seinem Facebook-Post herausgehoben und mit der Erwartung des „Aufheulens der prämodern fundamentalistisch Geprägten“ versehen hatte. Ich wende diesen Satz – so wie er ohne seinen Kontext zitiert wird – hin- und her: „…nicht die Buchwerdung seines Willens“ – sagt da nicht mal einer: „Ich habe dies Gesetzbuch gefunden im Haus des Herrn“ „Als aber der König die Worte des Gesetzbuches hörte, zerriss er seine Kleider…“ (2. Kön 22,8ff.). Was ist die Thora, deren fünftes Buch da gefunden wurde, eigentlich anderes als die „Buchwerdung seines Willens“ (zumal nach klassisch-jüdischem Verständnis)? Enthalten die Vätergeschichten, die Zehn Gebote etc. denn keine Selbstoffenbarung Gottes? Ich vergleiche damit Psalm 119 und Gal. 3,24 und stelle fest: Ausgerechnet dieser im Zuge seiner Hervorhebung präventiv verteidigte Satz, der zu der ganzen Auseinandersetzung führte, ist m.E. der einzige in Schusters ganzem Aufsatz, der theologisch schlichtweg falsch ist. Präzise gesprochen wird er falsch durch die asyndetische Entgegenstellung („Nicht“-„Sondern“-Sprachfigur), denn diese vergisst das Alte Testament. Um das zu erkennen braucht man kein „prämodern fundamentalistisch Geprägter“ zu sein. Es reicht der Rückgriff auf Grundkenntnisse alttestamentlicher Theologie.
(4) Mein Interesse ist nicht, jemandem einen Vorwurf zu machen. Ich halte diesen Lapsus jedoch für keinen Zufall, sondern für ein Symptom. Da geht es um die besagte „fließende Grenze“. Es hat sich eingebürgert (und zwar auch bei Jürgen Schuster), immer von „dem Evangelium“ als Chiffre für die sprachliche Vermittlung der Selbstoffenbarung Gottes zu sprechen. Dieser Formulierung fehlt jedoch „das Gesetz“ als Antipode. Dabei ist es unerheblich, ob man mit Luther von „Gesetz und Evangelium“ in deren Zusammengehörigkeit reden will, mit Barth von „Zuspruch und Anspruch des Evangeliums“ oder mit dem Pietismus von „Kreuz und Heiligung“: Diese beiden Teile der Selbstoffenbarung Gottes sind interdependent. Die Postmoderne hat jedoch mit dem Gedanken eines offenbarten Willens Gottes, der uns etwas abfordert, ein sehr grundsätzliches Problem. Sind nicht „wir“ es, die neue Horizonte setzen? A. Walls umschifft diese Frage, indem er das Judentum als „bestimmten, partikularen Kulturraum“ für die Selbstoffenbarung des Sohnes Gottes versteht und dabei übersieht, dass dieser Kulturraum nach biblischer Erzählweise zu diesem Zweck von Gott durch sein Wort überhaupt erst konstituiert wurde und somit selbst Gegenstand der Offenbarungsgeschichte ist. Was sehr bedeutende Fragen aufwirft: Kann es eigentlich ein Neues Testament ohne das Alte Testament geben? Kann es ein Evangelium ohne Gesetz geben (mindestens das Naturrecht Röm 1)? Kann man Gottes Liebe ohne Gottes Willen aussagen? Gibt es Rechtfertigung ohne Heiligung? Gibt es Gottesliebe ohne Gottesfurcht (vgl. Luthers „Kleiner Katechismus“, erstes Hauptstück)? Oder greifen all diese Subtraktionen von Gottes Heiligkeit und Unverfügbarkeit, die die Gnade billig machen und Konsumenten statt Jünger hervorbringen, letztlich diese Grenze zwischen Schöpfer und Geschöpf an, auf die Schuster in seinem Aufsatz so eindrücklich hingewiesen hat? Natürlich will keiner „gesetzlich“ sein, logisch. Aber m.E. befindet sich der postmoderne Protestantismus heute nicht in dieser, sondern genau in der gegenteiligen Gefahr: Dass im Zuge der Inkulturation des Evangeliums in eine Kultur, die den Willen Gottes exkulturiert, ein nettes, freundliches, alle bestätigendes, niemanden forderndes – Götzenbild entsteht. Und Götzenbilder haben keine Kraft, sie sind „Nichtse“ (hebr. „älil“). Hier, an dieser Stelle, wird die Frage nach der überkulturellen Identität des Evangeliums und damit seiner kulturellen Prägekraft heute existentiell. Und an diesem Sachproblem entzünden sich auch etliche Konflikte, über die wir derzeit debattieren.
Unseren Protestantismus bringt das in die paradoxe und überaus undankbare Lage, für die Vermittlung des Willens Gottes als nichtreduzierbarem Gegenstück des Evangeliums selbst einstehen zu müssen, und das ausgerechnet in der Postmoderne, die dafür so gar kein Ohr hat. Weder die Gesellschaft noch die katholische Kirche des II. Vaticanums leisten uns noch den Service, uns diese Aufgabe abzunehmen. Hier hat, so scheint es, eine echte Inkulturation des uns doppelt Fremden noch nicht wirklich begonnen. Sie ist – zugegeben – auch außerordentlich mühevoll (und ich bin nicht sicher, ob sie noch anders als konfessionsverbindend leistbar ist). Viel lieber schimpft man mit urprotestantischem Pathos auf die vermeintlichen „Pharisäer“ in den eigenen Reihen (zum Beispiel hier). Vielleicht könnte hier einmal die Überlegung einsetzen, ob die, die man gerne mit diesem Begriff tituliert, nicht anfangsweise den Dienst einer Inkulturationsaufgabe leisten, die existentiell und unabdingbar ist für einen Protestantismus, der eben nicht in Synkretismus abgleiten, sondern in der Postmoderne Leib des lebendigen Herrn Jesus Christus sein und bleiben möchte.
Im nächsten Blogbeitrag: „Ich glaube nicht an die Bibel, sondern an Jesus Christus“?! Warum diese alte Kamelle mehr Probleme schafft als sie löst.
Ich möchte am hier zitierten Satz Jürgen Schusters, „Gott hat als Weg seiner Selbstoffenbarung an die Menschheit nicht die Buchwerdung seines Willens, sondern die Menschwerdung seines Sohnes gewählt.“, anknüpfen. Diesem Satz kann ich voll und ganz zustimmen.
Man geht davon aus, dass der Pentateuch erst gegen 440 v. Chr. fertiggestellt wurde. Vorher gab es nur eine mündliche Tradition. Auch schenkte Gott dem Abraham nicht ein Buch, sondern griff in sein Leben ein. Die Geschichte des hebräischen Volkes ist also eine Geschichte des Gotterlebens, und es ging immer nur darum, dass – u.a. auch durch die Erinnerung an das bereits Erlebte – die Kontinuität des gemeinsamen Weges von Gott und Mensch aufrecht erhalten wurde. Um nichts anderes geht es im Alten- und Neuen Testament.
Alles soll uns nur ins Erleben hineinbringen.
Leben ist aber ständige Bewegung. Die Zeiten ändern sich. Mit ihr die Kultur(en). Insofern ist es umständlich und unnötig, Menschen unserer Kultur die Vorstellungen vergangener Zeiten aufdrängen zu wollen. Da komme ich zum zweiten Zitat Schusters „Es kann nicht sein, dass Menschen erst eine sozio-kulturelle Grenze überschreiten müssen, bevor sie glauben können.“ – Auch wieder ein Satz, dem voll zuzustimmen ist.
Natürlich muss aber derjenige, der in unsere Kultur die Wahrheit unvermittelt hineingeben will, selbst erst einmal die Wahrheit zeitlos haben. Das geht aber nur, wenn die Wahrheit im eigenen Leben erkannt wird. Dazu war Paulus in der Lage.
Theologie sollte heute in die Richtung gehen, dass wir immer mehr die Wahrheit von ihrer zeitbedingten Umkleidung befreien. Sonst ergeht es uns nicht anders, wie einst den Pharisäern und Sadduzäern, die beide, die Schrift hatten, aber scheiterten, weil sie die Wahrheit nicht erlebten und erleben wollten: https://manfredreichelt.wordpress.com/2018/02/03/waren-jesu-ansprueche-zu-hoch/
Genauso wie Sadduzäer und Pharisäer hatten auch Jesus, Paulus und die anderen Urchristen die Schrift. Sie nutzten sie, verwiesen auf sie und schöpften aus ihr. Jesus verwarf das AT gerade nicht, und das, obwohl die Kultur eine andere war, nomadisch, eigenes Königtum, etc. Was Sie sich wünschen, ist also nicht der Weg des Christentums. Es ist immer schon der Weg der Gnosis gewesen.
Jesus und die Apostel bezogen sich deshalb auf die Schrift, um zu bezeugen, dass sie in der l e b e n d i g e n Tradition standen, und die Auferstehung der Höhepunkt derselbigen war (die Auferstehung war kein Schriftereignis – vergleichbar der Niederschrift eines Romans – , sondern ein lebendiges Ereignis!)
Da vermischen sich zwei rein sprachlogisch verschiedene (Erzähl-)Ebenen. In Schusters Satz ist das Subjekt „Gott“. Hier befindet er sich auf der Ebene der biblischen Schriften („Menschwerdung seines Sohnes“). Auf dieser Ebene, bezogen auf das Alte Testament, erhält Mose die beiden Tafeln des Gesetzes, beschrieben vom Finger Gottes Ex 31,18.32,16 u.ö. Die übrigen Gesetze erhielt Mose als Gottesrede und schrieb sie vollständig in ein Buch Dtn 31,24, das ergo die Buchwerdung seines Willens ist (und so wurde die Thora im Judentum auch aufgefasst). Was du ansprichst ist die Entstehung der biblischen Schriften nach der Erzählweise der historisch-kritischen Theologie, die die menschlichen Entstehungsbedingungen unter dem Paradigma des „Historischen“ ansieht. Das kann man machen (wie sinntragend das ist ist eine andere Frage), aber auf dieser Ebene macht der Satz mit der Menschwerdung des Sohnes Gottes als Selbstoffenbarung Gottes keinen Sinn mehr. Denn innerhalb des Paradigmas des Historischen lässt sich nur darlegen, wie Menschen rein historisch betrachtet zu der Überzeugung kamen, dass die Menschwerdung des Sohnes der Weg der Selbstoffenbarung Gottes sei. Also entweder man legt das eine oder das andere Paradigma an den Satz an, aber für einen Satzteil das eine und für den anderen das andere geht rein von der Satzlogik nicht so wirklich.
Unabhängig von den verschiedenen Deutungen, handelt es sich doch um Texte, die das tägliche Leben eines Volkes regeln sollten, also um Gesetzestexte. Gesetzestexte – ganz gleich von wem sie stammen, welches Volk sie aufsetzt – sind für das fortschreitende Gotteserleben insofern nur relevant, ob sie einer solchen Entwicklung dienlich sind, oder eher hemmend wirken. Die Gesetzestexte der ehem. Sowjetunion waren jedenfalls nicht förderlich für die menschliche und spirituelle Entwicklung.
Gesetze und Gebote sind immer nur ein Ausdruck dafür, dass die Harmonie des Menschen mit einem größeren Zusammenhang erzwungen werden muss.
@Manfred Reichelt: Das ist eine modern-westliche Perspektive und ein mehr oder weniger säkulares Gesetzesverständnis, aber hat mit dem Verständnis der Thora im Judentum seit dem Exil nicht das Geringste zu tun. Da ist es eben nicht „das Volk“, das sie aufsetzt, und hat mit dem Gotterleben extrem entscheidend zu tun. Und das geht uns als Christen insofern etwas an, als es den nicht nur kulturellen, sondern eben offenbarungsgeschichtlichen Hintergrund für die Menschwerdung des Sohnes Gottes bildet, die nicht davon losgelöst betrachtet werden kann. Aus diesem Grund umfasst die Heilige Schrift der Christen eben beide Testamente.
Es müsste eigentlich bekannt sein, dass es in diesem Zeitraum KEINE Kultur gab, deren Gesetze menschengemacht waren. Da bildet das hebräische Volk keine Ausnahme. Ein Christ, und jemand, dem man zum Glauben an Christus bekehren möchte, MUSS eigentlich nichts von den mosaischen Gesetzen wissen.
Die Erwähnung von Psalm 119 veranlasst mich, Folgendes kurz zu ergänzen und damit die Ausführungen von G. Hohage zu unterstützen:
Genau zum Reformationstag war für mich in meiner täglichen Bibellese Psalm 119 dran, d.h. die ersten Verse. Ich folge keinem Bibelleseplan; daher war ich überrascht und habe gleich empfunden, dass das kein Zufall war, sondern Gottes Führung. Ich wurde nämlich durch die Lektüre der Neuen evangelistischen Übersetzung (NeÜ) darauf aufmerksam (hatte das so noch nie gehört oder wahrgenommen), dass in diesem Psalm 10 verschiedene Synonyme für das Wort Gottes verwendet werden, deren erstmaliges Vorkommen innerhalb der beiden 1. Strophen liegt. Und zwar die ersten 7 in der ersten und die nächsten 3 in der zweiten. Allein das ist mit Sicherheit kein Zufall.
Nun, ich habe das damals zu einem Vortrag ausgearbeitet. Hier will ich jedoch nur auf die beiden ersten Verse hinweisen:
Psalm 119,1 (NeÜ): „Wie glücklich sind die, die tadellos leben, die sich richten nach Jahwes Thora.“ („Thora“: habe gleich das hebr. Wort verwendet.)
2: „Wie glücklich die, die glauben, was er bezeugt (hebr. edut; v.A. das Bundeszeugnis; Bundeslade: aron ha-edut; siehe Fußnote in der NeÜ), die, deren Herz nach ihm fragt.“ Andere geben sinngemäß wieder: „die von ganzem Herzen ihn suchen“.
Nun, „Thora“ ist hier eine Art Oberbegriff, der die weiteren Aspekte der verwendeten Synonyme beinhaltet. Man sieht das auch an der poetischen Struktur dieses Textes. Der Anfang enthält ja i.d.R. das Thema des weiteren Textes.
U.A. geht hieraus deutlich hervor, dass wer „Jahwe“, Gott, den Herrn sucht, ihn in seinem Wort findet. Und das bedeutet sofort, dass er sich wesentlich in diesem Wort geoffenbart, gezeigt hat, bis dahin, dass er sich regelrecht mit diesem Wort identifiziert. Nicht, wie einige denjenigen, die daran festhalten, vorwerfen, sie würden die Bibel als eine Art 4. Person der Gottheit betrachten. Das ist natürlich Unsinn. Dennoch zeigt gerade dieser Psalm den überragenden Stellenwert der heiligen Schrift(en), die damals schon existieren, insbesondere in der Frage, wie Gott denkt und was er uns sagt. Und das geht gleich in die Praxis: Es geht darum, seinen Willen, wie wir ihn in seinem Wort finden, auch zu tun. Nur dann werden wir auch in der Erkenntnis Fortschritte machen, und auch zunehmend „die Wunder in seiner Thora“ schauen (V 18), die dieses Buch – ich dehne das ohne explizite Begründung auf die ganze Bibel aus – als sein Wort ausweisen.
Zu dem Satzteil: „Natürlich will keiner „gesetzlich“ sein, logisch. Aber m.E. befindet sich der postmoderne Protestantismus heute nicht in dieser, sondern genau in der gegenteiligen Gefahr…“
Wenn der Begriff „postmoderner Protestantismus“ den heutigen Protestantismus meint, dann ist der doch sehr gesetzlich , weil moralpolitisiert: man muss als Protestant den Klimawandel bekämpfen, Waffenhandel unterbinden, für Vielfalt und Gleichstellung der Frauen sorgen, Flüchtlinge bewillkommnen, für die Armen eintreten usw usf. Es gibt nicht d i e Postmoderne, es gibt nicht nur Individualisierung und anything goes (das nur als Diskurstrick – ein echtes anything goes glaubt keiner, tut keiner, will keiner – völlige Willkür und völlige Beliebigkeit kann man nicht leben), es gibt vor allem Ideologisierung und Moralisierung.