Reflexion zur Abschlusspredigt des Kirchentags 2023

Lucas Cranach der Ältere, Public domain, via Wikimedia Commons

Viel ist bereits zur inzwischen berühmten Kirchentagpredigt gesagt worden. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob die Kritik den Kern schon getroffen hat. Wohl kann man darüber streiten ob „queer“ nun als eine ontologische Aussage über das Wesen Gottes verstanden werden soll oder nicht.

Ich meine aber, die Predigt versucht etwas anderes und ist, mit der Art und Weise wie sie es versucht, nicht geeignet mich zu überzeugen:

Die zentrale Unterscheidung, mit der die Predigt arbeitet, ist meines Erachtens die, dass es (innerhalb der christlichen Gemeinschaft) einerseits die „Happyländer„, deren Liebe vergiftet ist, anderseits diejenigen, die wahre Gerechtigkeit und damit Liebe anstreben, gibt. Die Happyländer sollen nun mit der Predigt dazu bewogen werden, den Kampf der Gerechten mit aufzunehmen.  Wie?

Durch eine Umkehrung von Gesetz und Gnade. Die Befolgung des (woken) Gesetzes als Werk der Gerechtigkeit wird zur Voraussetzung der  Nächsten und (Gottes?) Liebe. Anstatt also daran zu Glauben, dass die befreiende Liebe Christi ein neues Miteinander mit dem konkreten Gegenüber ermöglicht, wird die Umsetzung eines politischen Programms conditio sine qua non für die Geschwisterliebe unter Christen.


Die zentrale Aussage ist hierbei: „There can be no love without justice

Was ist damit gesagt? Damit ist gesagt, dass nicht die befreiende Liebe Christus Voraussetzung für Gerechtigkeit, sondern andersherum, Werke der Gerechtigkeit Voraussetzung für Liebe seien. Wie nun aber, soll diese Gerechtigkeit, die zur Liebe führt aussehen? Zunächst wird diese kontrastiert, mit der „Happyländer-Liebe“.

Das ist die, die sagt: „Ich sehe keine Hautfarbe, keine Behinderung, kein Geschlecht“ und „Jesus Christus hat uns alle durch seine Liebe befreit.“
Nun könnte man hierüber sicherlich reden. Nur wird hier aber dieser Diskurs ganz schnell abgeschnitten, denn zu den Happyländern wird gesagt: 

„Wir vertrauen eurer Liebe nicht. Wir haben keinen sicheren Ort in euren Kirchen“

Also, keine Diskussion mehr darüber, ob die Happyländern vielleicht gar nicht so unrecht haben (https://youtu.be/5_hRr5J9UUc), sondern ein krasses Entweder-oder, dessen Kriterium für richtig und falsch allein die Emotion des Sprechenden ist.  Hierfür gibt es einen Begriff: „Emotional Blackmail“ (Emotional blackmail at church (thegospelcoalition.org)).

Wie also sieht eine Liebe aus die „wahrhaft“ befreit? Sie orientiert sich am politischen Diskurs und dort am linken (US-)Spektrum:

„Wir sind alle die Letzte Generation.Jetzt ist die Zeit, zu sagen: Black lives always matter. Jetzt ist die Zeit, zu sagen: Gott ist queer.Jetzt ist die Zeit, zu sagen: We leave no one to die. Jetzt ist die Zeit, zu sagen: Wir schicken ein Schiff. UND wir empfangen Menschen in sicheren Häfen. Safer spaces for all.“

Parolen, Schlagwörter, Polarisierung… aber was genau hat dieser Weg gebracht? Wer kann mir -dem Archetypus eines Happyländers- die guten Früchte dieses politischen Kampfes zeigen?

Die Wahrheit ist doch die: als Kirche haben wir leider keinen Königsweg für eine bessere Welt offenbart bekommen.
Schleiermacher hat dazu mal gesagt: „der Einzelne [kann] von seinem Standpunkt aus über das, was der Gesamtheit bei der jedesmaligen Lage ihrer Totalaufgabe heilsam ist, kein sicherers Urteil Gewinnen (GL § 146)“Das ist richtig. Die christliche Bewegung zur Vollendung der Kirche ist daher  „bottom up“, nicht „top down“. Ich muss erst lernen meinen Nächsten zu lieben, was an und für sich, je nach dem wer den nun mein Nächster ist, gar nicht so leicht ist. Aber kann nicht nur der hoffen, die Welt umzubauen, der auch seinen Nächsten lieben kann? Hat die Predigt hier geholfen?
Hierzu auch ein paar Gedanken, wie dieser Weg gelingen könnte. Zwei der zentralen Thesen der Reformation waren ja: 

  • „[…] »das Gesetz wirkt den Zorn« Gottes (Röm 4,15), es tötet, verflucht, klagt an, richtet und verdammt alles, was nicht in Christus ist. […] und
  • Die Liebe Gottes findet nicht vor, sondern schafft sich, was sie liebt.“(Luthers Heidelberger Disputation)

Die Liebe Gottes tritt also in Vorleistung, das Gesetz, egal welcher Art, verflucht. Das sollten wir bedenken, auch und gerade bei der Predigt um die Nachfolge. Und sollten wir nicht bedenken, dass auch der Kampf um Gerechtigkeit, ohne Liebe, in Bitterkeit umschlagen kann?“Doch ihr wandelt das Recht in Gift und die Frucht der Gerechtigkeit in Wermut“ schreibt der Prophet Amos (Amos 6,2)
Natürlich scheitern wir immer kläglich daran, Liebe, die Gerechtigkeit schafft, wirklich zu leben. Aber gerade deswegen ist es ja so wichtig, immer den zu Verkünden, der daran nicht gescheitert ist.Denjenigen, dessen befreiende Liebe uns erlöst hat. Ohne Diesen, verwandelt sich die christlichen Botschaft schnell in Wermut, die jeglichen Diskurs vergiftet und bitter macht. Wieder Schleiermacher:

„Es gibt keine andere Art an der christlichen Gemeinschaft Antheil zu erhalten, als durch den Glauben an Jesum den Erlöser.“ (GL § 14)