Alex Weidmann, Theologe und Doktorand der Systematischen Theologie an der renommierten Trinity Evangelical Divinity School (USA), hat seine Masterarbeit seinerzeit zum Offenen Theismus geschrieben. Er hat zu drei fachlich-inhaltlichen Fragen Stellung genommen, die in der Diskussion aufgetaucht sind.
Ist der Offene Theismus etwas Neues?
Die Debatte über den Offenen Theismus ist keineswegs neu. Sie war vor ungefähr 10-15 Jahren aktuell im amerikanischen Evangelikalismus. Ganze Wälder wurden damals innert wenigen Jahren abgeholzt und meterweise Bücher und Artikel pro und kontra geschrieben. Wer sich für das Thema interessiert, dem stehen Dutzende von Artikeln und Büchern zur Auswahl, die allerdings unübersetzt blieben und daher häufig im deutschen Sprachraum gar nicht wahrgenommen wurden. Pinnock und Sanders wurden nach einer heftigen Debatte nicht von der Evangelical Theological Society (ETS) ausgeschlossen, da ETS nur den Glauben an die Dreieinigkeit und die Unfehlbarkeit der Bibel verlangt, welche beide vom Offenen Theismus bejaht werden. Unabhängig davon, was man vom Offenen Theismus hält: Die Debatte ist längst vorbei. Kein müder theologischer Hund interessiert sich mehr dafür. Man schaue sich dazu nur einmal die ETS-Jahreskonferenzprogramme der letzten paar Jahre an. Man wird darin wenige bis gar keine Arbeiten und Vorträge von evangelikalen Theologen mehr finden.
Hat der Offene Theismus etwas mit der Prozesstheologie zu tun?
Es ist richtig, dass Greg Boyd lehrt, dass Gott nicht notwendigerweise in die Welt eingreifen muss, wie das in der klassischen Prozesstheologie der Fall ist. Die Behauptung, dass der Offene Theismus nichts mit Prozesstheologie zu tun hat, ist genauso steil wie die Behauptung, dass er im Gegensatz klassischen Theologie der Kirchenväter auf metaphysische Spekulationen verzichtet. Boyd schrieb seine Dissertation in Princeton. Der publizierte Titel lautet: Gregory A. Boyd Trinity and Process: A Critical Evaluation and Reconstruction of Hartshorne’s Di-Polar Theism Towards a Trinitarian Metaphysics. (New York: Peter Lang International Academic Publishers, 1992). Boyd setzt sich darin kritisch-konstruktiv mit dem Prozesstheologen Harthorne auseinander und versucht zu aufzuzeigen, dass dessen metaphysische Annahmen mit der christlichen Dreieinigkeitslehre kompatibel gemacht werden können. Eine Verbindung des Offenen Theismus zur Prozesstheologie liegt daher auf der Hand. Allerdings handelt es sich um eine kritische Verbindung.
Wie steht der Offene Theismus der Metaphysik gegenüber?
Boyd selbst ist der Metaphysik nicht grundsätzlich abgeneigt. Er arbeitet nicht nur rein exegetisch. Dies ist an und für sich auch kein Problem, sollte aber doch Beachtung finden in Anbetracht der Tatsache, dass der Offene Theismus den Gebrauch der Metaphysik bei den Kirchenvätern und der folgenden Jahrhunderte kritisiert. Boyds Argument beruht auf dem, was man landläufig die „Hellenisierungshypothese“ nennt. [1] Gemäss Boyd wurde die christliche Theologie von den Kirchenvätern mit griechischer Philosophie vermischt und dadurch verfremdet. [2] Wenn der kritische Gebrauch von Metaphysik der Prozesstheologie gestattet sein soll, dann sehe ich keinen Grund, weshalb ein ebenso kritischer Umgang der Kirchenväter mit den metaphysischen Erkenntnissen der Griechischen Philosophie nicht ebenso statthaft sein soll.
[1] Christoph Markschies, “Does It Make Sense to Speak about a ‚Hellenization of Christianity‘ in Antiquity,” Church History and Religious Culture 92, no. 1 (2012): 5-34.
[2] Boyd, Gregory A. God of the Possible: a Biblical Introduction to the Open View of God. Grand Rapids, MI: Baker Books, 2000, 17.