Sind die Evangelikalen in der Krise?

„Heute sind diese postevangelikalen Bewegungen vor allem ein Indiz: Für die Krise der evangelikalen Bewegung insgesamt, zumindest in der westlichen Welt.“

So schreibt es Thorsten Dietz in einem Auftaktartikel für eine Serie über Postevangelikale[1]. Er ist nicht der Einzige, der die Evangelikalen in der Krise sieht. Immer häufiger höre ich Stimmen auch mitten aus dem evangelikalen Raum, die den Begriff „evangelikal“ grundsätzlich für belastet oder gar verbrannt halten. Wenn das stimmt, wären die Konsequenzen dramatisch. Denn der Begriff „evangelikal“ hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als äußerst segensreich erwiesen. Er hat einer Bewegung eine verbindende Identität gegeben, die ansonsten wenig Verbindendes hat. Es gibt in der evangelikalen Welt kaum übergreifende Leitungsorgane. Erst recht gibt es keine Autoritäts- und Machtstrukturen. Es gibt keine verbindlichen Lehrautoritäten. Verbindend wirkt eigentlich nur die gemeinsame Liebe zu Jesus, die Leidenschaft für die Verbreitung des Evangeliums und die Bibel als verbindliche Basis für ein gemeinsames Ringen um Wahrheit. Ansonsten ist diese Bewegung bunt, vielfältig, chaotisch und diskutierfreudig. Und trotzdem hatte sie ein so klares Profil, dass sie eine Fülle von Gemeinden, Werken, Ausbildungsstätten, Medien und Großveranstaltungen hervorbringen konnte. Thorsten Dietz meint sogar: „Keine religiöse Strömung war in den letzten 50 Jahren so einflussreich wie die evangelikale.“ Nicht nur in Deutschland ist sie z.B. über die Evangelische Allianz oder die Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen hochaktiv und gut vernetzt. Durch die „World Evangelical Alliance“ ist sie innerhalb kürzester Zeit zu einer weltweiten Marke geworden. Auch ich habe mich immer sehr gerne mit dem Begriff „evangelikal“ identifiziert. In meinem idea-Streitgespräch mit Thorsten Dietz habe ich ganz bewusst bekannt: „Ich bin von Herzen evangelikal.“ Und ich bin überzeugt: Wenn wir uns davon distanzieren, verlieren wir sehr viel mehr als einen Begriff. Wir verlieren eine verbindende, einheitstiftende Marke, für die kein Ersatz am Horizont in Aussicht ist.

Grund genug also zu fragen: Sind die Evangelikalen wirklich in einer Krise? Oder wird hier nur eine Krise herbeigeredet und -geschrieben? Was genau sind die angeblichen Krisensymptome? Gibt es vielleicht wirklich gute Gründe dafür, warum wir uns von diesem Begriff verabschieden sollten, so wie es viele bereits tun?

Ich möchte mich diesen wichtigen Fragen anhand einiger Zitate aus dem eingangs erwähnten Artikel von Thorsten Dietz nähern:

Sind die Evangelikalen auf Sexualethik fokussiert?

“Weltweit ist vor allem die protestantische Christenheit seit Jahrzehnten von einer Welle der Spannungen und Spaltungen begleitet, häufig nicht aufgrund dogmatischer, sondern ethischer Differenzen in Fragen Gender und Sexualethik. Anscheinend ist Ethik die neue Dogmatik.”

Ich kann gar nicht mehr überblicken, wie oft ich diesen Vorwurf in den letzten Jahren gehört habe: Die Evangelikalen machen das Randthema Sexualethik zum Kern der Auseinandersetzung. Oder noch krasser ausgedrückt: Bei den Evangelikalen geht es dauernd um Sex. Dabei beobachte ich in meinem Umfeld genau das Gegenteil: Die meisten Evangelikalen meiden dieses Thema so gut sie nur können. Denn es geht hier ja gerade nicht nur um Lehrfragen sondern um Menschen mit einer persönlichen, oft hochproblematischen Geschichte. Im Feld der Sexualethik werden immer hochkomplexe, individuelle Einzelschicksale berührt. Die allermeisten Evangelikalen versuchen deshalb, über dieses Thema lieber nur im (seelsorgerlich) geschützten Rahmen zu sprechen.

Zumal sie mit öffentlichen Veranstaltungen zu diesem Thema extrem schlechte Erfahrungen gemacht haben. Beim Christival 2008 sollte es dazu einen Workshop geben, der aufgrund von massivem öffentlichem Druck abgesagt werden musste. Bei einer Tagung des Netzwerks Bibel und Bekenntnis im Jahr 2019 rief Markus Hoffmann in einem seelsorgerlich tiefgründigen Vortrag zu einem differenzierten und empathischen Umgang mit Homosexualität und homosexuell empfindenden Menschen auf. Trotzdem kam es auch hier zu massiver Kritik, die sich nicht davor scheute, einzelne Aussagen buchstäblich ins Gegenteil zu verdrehen. Es ist also kein Wunder, dass Evangelikale bei diesem Thema insgesamt eher einsilbig sind. Trotzdem beklagte Thorsten Dietz jüngst im Podcast „Das Wort und das Fleisch“, das Netzwerk Bibel und Bekenntnis hätte keine Position zu diesem Thema. Mir vermittelt das den Eindruck: Man kann es nicht recht machen. Redet man darüber, ist man sexorientiert, rückständig und rücksichtslos. Redet man nicht darüber, hat man keine Meinung dazu.

Tatsache ist: Das Thema wird den Evangelikalen immer wieder aufgedrückt. Es vergeht kaum ein Interview, in dem evangelikale Vertreter nicht auf dieses Thema angesprochen werden. Aktuell ist es die Initiative „Coming-In“, die mit Unterstützung prominenter Vertreter wie Michael Diener, Martin Grabe, Tobias Künkler, Gofi Müller oder Jakob Jay Friedrichs lautstark fordert, dass evangelikale und konservative Kirchen und Gemeinschaften doch endlich „umkehren“ und gleichgeschlechtliche Paare genauso behandeln sollen wie heterosexuelle Paare. Man darf also schon zurecht fragen: Sind es wirklich die Konservativen, die dieses Thema immer wieder auf die Tagesordnung zerren? Oder ist es nicht viel eher unsere Gesellschaft, die bis in die Sprache hinein immer stärker um dieses Thema kreist?

Richtig ist: Wir Evangelikalen haben im Feld der Sexualethik noch viel aufzuholen. Wir sollten im geeigneten Rahmen und mit Unterstützung von Experten noch viel öfter über solche Fragen sprechen, um zu verhindern, dass im gemeindlichen Umfeld seltsame und teils destruktive Vorstellungen gepflegt werden. Und ich finde: Wir brauchen dieses Thema auch gar nicht zu scheuen, im Gegenteil: Wir haben allen Grund, uns selbstbewusst zur Schönheit und zum Segen der christlichen (Sexual-)Ethik zu stellen. Die biblische Betonung von Treue und Verbindlichkeit von Mann und Frau, der daraus entstehende Schutzraum der Familie, in dem Kinder gesund und beschützt aufwachsen können, die unveräußerliche Würde jedes menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum Tod: All das ist ein Pfund, zu dem wir fröhlich und selbstbewusst stehen können. Ich sehe in unserer immer kälter werdenden Gesellschaft, in der Sexualität immer stärker von Liebe und Treue entkoppelt wird, keine wirklich attraktive Alternative dazu. Das Feld der (Sexual-)Ethik ist deshalb ganz sicher kein Anlass, nicht mehr evangelikal sein zu wollen.

Haben sich die Evangelikalen politisiert?

„Die Identifikation vieler Evangelikaler mit populistischer Politik (in den USA, aber z.B. auch in Brasilien) bestimmt heute nicht selten die Wahrnehmung des Phänomens Evangelikalismus insgesamt. … Die evangelikale Bewegung ist Teil politischer und kultureller Polarisierungen in vielen Gesellschaften geworden.“

Dieser Tage bin ich über ein wirklich verstörendes Video gestolpert. Gezeigt werden amerikanische „Propheten“, die in großer Übereinstimmung vorhergesagt hatten, dass Trump eine zweite Amtszeit beschert werde und die sich äußerst schwer damit tun, jetzt mit dieser falschen Vorhersage umzugehen. Das wirkt streckenweise hochnotpeinlich. Man kann nur hoffen, dass die amerikanische Christenheit dieses Ereignis nutzt für gründliche Kurskorrekturen und für eine Reinigung von einem Show-Christentum, das außer starken Sprüchen nichts zu bieten hat.

Solche Korrektur- und Reinigungsprozesse sind jedoch nichts Neues. Machen wir uns nichts vor: Die Kirchengeschichte ist voller solcher Peinlichkeiten. Besonders schlimm wurde es immer dann, wenn Christen meinten, sich für die Durchsetzung ihrer Positionen mit staatlicher Macht verbünden zu müssen. Die einstige unheilige Allianz zwischen der katholischen Kirche mit staatlichen Herrschern liefert dafür zahlreiche traurige Beispiele. Distanzieren wir uns deshalb heute von der katholischen Kirche?

Natürlich ist völlig richtig, dass sich die US-amerikanischen Evangelikalen aktuell durch die Ereignisse rund um Donald Trump in einer Krise befinden. Richtig ist auch, dass viele Medien die Evangelikalen weltweit gerne in einen Topf mit Trump- und Bolsonaro-begeisterten Christen stecken, weshalb die Ereignisse in den USA auch weltweit dem Ruf der Evangelikalen schaden. Aber wollen wir wirklich keine Evangelikalen mehr sein, weil Medienleute nicht trennen können (oder wollen) zwischen US-amerikanischen, kapitol-stürmenden, patriotischen, waffentragenden Christen einerseits und den weltweit äußerst vielfältigen, oft verfolgten evangelikalen Christen andererseits?

Natürlich stimmt es, dass Christen sich vielerorts äußerst unweise verhalten und sich völlig zu Recht Verachtung zugezogen haben. Auch evangelikale Christen haben sich von Populisten verführen lassen, so wie in der Zeit des Nationalsozialismus auch die Staatskirchen von den Nazis vereinnahmt wurden und so wie sich viele Protagonisten der 68iger-Bewegung von einem staatsterroristischen Populisten wie Mao Tse Tung verführen ließen und teilweise sogar selbst in den Terrorismus abgeglitten sind. Distanzieren sich heute die Linken deshalb von den 68igern? Meiden Sie diesen Begriff? Nein, ganz im Gegenteil: Sie sind trotz dieser schwerwiegenden Irrtümer und Entgleisungen stolz auf die positiven Errungenschaften, die sie insgesamt aus dieser Bewegung kommen sehen. Umso mehr werde auch ich mich nicht von meinen evangelikalen Geschwistern distanzieren, auch wenn sie sich teilweise unweise oder wirklich falsch verhalten. Lieber lasse ich mich mit ihnen „verhaften“ und bleibe trotzdem Teil dieser großen Familie, die Jesus in aller Unvollkommenheit und Fehlerhaftigkeit gemeinsam folgt, so gut sie es eben kann.

Zumal es ja gerade die Evangelikalen sind, die dringend vor der wachsenden Politisierung der liberal geprägten Kirchen warnen. Es ist die große Mehrheit der Evangelikalen, die sich von politischer Positionierung ganz bewusst fernhält. Eine Nähe oder gar Affinität zum Populismus, die Thorsten Dietz im folgenden Zitat nahelegt, ist nun wirklich keine Spezialität evangelikaler Christen. Populismus gibt es links wie rechts. Sämtliche christliche Schattierungen sowie sämtliche Teile der Bevölkerung sind und bleiben anfällig dafür. Man muss nur einmal auf die Geschichte des evangelischen Kirchentags schauen. Also ist auch das ganz sicher kein Grund, kein Evangelikaler mehr sein zu wollen.

Leben die Evangelikalen von der Abgrenzung?

„Ist die Nähe zum Populismus ein Selbstmissverständnis frommer Menschen? Oder gibt es dazu eine innere Affinität? Könnte man gar von einem religiösen Populismus sprechen, bei dem sich ein Teil der Christenheit zuschreibt, die wahren Gläubigen zu vertreten und die Entfaltung des eigenen Glaubenszeugnisses sehr stark von der Abgrenzung gegenüber allerlei liberalen, ökumenischen und säkularen Irrwegen bestimmt ist? … Nicht wenige Jüngere, die in evangelikalen Gemeinden aufgewachsen sind, sind den evangelikalen Kulturkrieg gründlich leid.“

Beim Lesen des Buchs „Jesus – Eine Weltgeschichte“ von Markus Spieker stand mir jüngst buchstäblich der Mund offen. Mir war bis dahin nicht bewusst gewesen, in welch krassem kulturellem Gegensatz sich die urchristliche Gemeinde zu ihrem Umfeld befunden hat. Das lag nicht nur an ihrer Weigerung, die damaligen Götter und Machthaber anzubeten. Das lag auch an den grundverschiedenen Werten, die sie gelebt haben: Kein Sex außerhalb der Ehe. Lebenslange Treue. Kein gleichgeschlechtlicher Sex. Keine Prostitution. Kein Aussetzen oder Töten von unerwünschten Kindern. Keine Unterdrückung oder Misshandlung von Frauen oder Sklaven. All das war damals so exotisch, dass es vom nichtchristlichen Umfeld als pure Provokation empfunden wurde. Das hat die damaligen Christen zwangsläufig in einen Kulturkrieg mit ihrer Umgebung gestürzt – ob sie das wollten oder nicht. Sie haben vielfach mit ihrem Leben dafür bezahlt. Sie haben damit aber die Wurzeln gelegt für viele der Errungenschaften, die uns heute selbstverständlich erscheinen – obwohl sie es längst nicht mehr sind.

Natürlich stimmt es, dass manche evangelikale Gruppen sich in einer ungesunden Weise in kulturelle Wagenburgen zurückgezogen haben. Natürlich stimmt es auch, dass es unter den Evangelikalen einige gibt, die ihre Identität primär aus der Abgrenzung gegenüber allerlei Irrlehren ziehen, weswegen ihr Glaube nicht mehr strahlt und ihre Leidenschaft für Jesus unter zunehmender Abgrenzeritis verschüttet wird. Aber solche Leute bleiben unter den Evangelikalen immer eine kleine Minderheit, weil man durch reine Abgrenzung niemand gewinnen und keine Gemeinden bauen kann.

Trotzdem gilt letztlich für alle Christen: Abgrenzung gehörte und gehört immer zum Christsein dazu. In einer Gesellschaft, die in vielen Bereichen den christlichen Werten skeptisch oder gar feindlich gegenübersteht und die inzwischen sogar Abtreibung und Sterbehilfe als Menschenrecht bezeichnen will, da ist es gar nicht vermeidbar, dass es auch heute wieder zu Konflikten und Abgrenzungen kommen muss. Das ist für uns Christen im Westen noch etwas ungewohnt. Wir haben es jahrzehntelang genossen, dass unsere christlichen Werte Mainstream waren. Ich kann deshalb gut verstehen, dass es einigen Christen schwerfällt, in eine kulturelle Außenseitersituation zu geraten. Nicht jeder will das. Aber wir Christen sollten verstehen: Die letzten Jahrzehnte waren historisch gesehen eine extrem seltene Ausnahmesituation. Weltweit ist es auch heute der Normalfall, dass Christen angefeindete, teilweise sogar verfolgte Außenseiter sind. In der Geschäftswelt heißt es: If you can’t stand the heat, stay out of the kitchen! Auf unsere Situation übertragen bedeutet das: Wer den Kulturkrieg grundsätzlich vermeiden möchte, der sollte sich lieber noch einmal überlegen, ob er sich mit dieser christlichen Bewegung wirklich eins machen möchte oder nicht. Ich meine jedenfalls: Wir sollten lieber darüber nachdenken, wie wir die westliche Christenheit wieder fit machen für den Umgang mit Gegenwind und Verfolgung, statt uns von evangelikalen Geschwistern zu distanzieren, nur um der gesellschaftlichen Verachtung zu entgehen.

Haben die Evangelikalen kein Profil?

„Die am meisten verbreitete Definition von Evangelikalismus geht auf den britischen Historiker David Bebbington zurück. Sein sogenanntes Bebbington Quadrilateral benennt vier Identifikationsmerkmale: Erfahrung einer persönlichen Bekehrung bzw. Wiedergeburt. Konzentration auf Jesus Christus als gekreuzigten Herrn und Erlöser. Bibelfrömmigkeit und Orientierung an biblischer Lehre und Ethik. Aktive Bemühung um Weltgestaltung im Sinne von Mission und Diakonie. So hilfreich dieses Muster in kirchengeschichtlicher Hinsicht sein mag: Es ist alles andere als trennscharf.“

Die hier genannte Definition des Evangelikalismus ist sicher zutreffend. Richtig ist aber auch, dass diese Sätze heute nur noch wenig Erklärungskraft beinhalten. „Bibelfrömmigkeit“ nehmen auch liberale Theologen für sich in Anspruch. Auch unter Progressiven und Postevangelikalen ist von Bekehrung, Erlösung, Weltgestaltung sowie biblischer Lehre und Ethik die Rede. Jedoch werden diese Begriffe immer öfter völlig unterschiedlich gefüllt – auch mitten im evangelikalen Umfeld. Zudem verlieren auch Evangelikale immer öfter die Fähigkeit, die zentralen Heilstatsachen einfach und klar zu beschreiben, weshalb theologische Fragen oft nur noch unter Experten besprochen werden.

Wo aber die Definition des Begriffs „evangelikal“ nur noch mit Begriffshülsen und komplizierten Texten beschrieben werden kann und wo Laien theologisch entmündigt werden, da gerät die evangelikale Bewegung tatsächlich in die Krise. Denn sie lebt entscheidend davon, dass sie trotz aller kulturellen Vielfalt einige leicht zu verstehende zentrale Glaubensschätze teilt, die sie überall auf der Welt ganz selbstverständlich gemeinsam feiern und bezeugen kann: Die Heilige Schrift als das offenbarte und für alle Christen verbindliche Wort Gottes. Die Sündhaftigkeit des Menschen und die daraus folgende Trennung von Gott. Der Kreuzestod Jesu als stellvertretendes Strafleiden und als einziger Weg zum Heil. Die historische Realität von biblischen Wundern und die leibliche Auferstehung als Grundlage der Hoffnung auf ewiges Leben. Das Wesen Jesu Christi als ganzer Mensch und zugleich als präexistenter, von einer Jungfrau geborener Gott. Die erwartete Wiederkunft Jesu zum Heil und zum Gericht.

Was mich an der evangelikalen Bewegung immer wieder begeistert ist: Auch wenn schwäbisch-pietistische Jungenschaftler nach Haiti oder auf die Philippinen zum Arbeitseinsatz in dortige Gemeinden reisen oder wenn ich im Schwabenland auf südamerikanische Christen treffe, dann ist für alle Beteiligten ganz selbstverständlich klar: Diese Wahrheiten teilen wir! Und deshalb sind wir alle Teil einer großen Familie. Auch wenn wir ansonsten grundverschieden sind.

Wir sollten wieder evangelikaler werden, um krisenfest zu sein!

Mein Fazit ist: Viele der angeblichen Krisensymptome werden eher von außen an die evangelikale Bewegung herangetragen. Sie sind eher Nebelkerzen als echte Gründe für eine grundlegende evangelikale Identitätskrise. Wirklich bedrohlich wird es aber dann, wenn wir unsere gemeinsamen theologischen Kernüberzeugungen verlieren. Dieses Problem ist jedoch überhaupt nicht neu! Im Gegenteil: Damit hatten schon die Apostel zur Zeit des Neuen Testaments zu kämpfen. Schon immer bestand die sehr reale Gefahr, dass die Gemeinden durch unchristliche Einflüsse und falsche Lehren unterwandert und von innen ausgehöhlt werden.

Deshalb gibt es eine Sache, die wir dringend wieder von den Aposteln lernen sollten: Zur Verkündigung des Evangeliums gehört immer auch die „Apologetik“, also die Verteidigung des Glaubens gegen falsche Lehre und Angriffe von außen. Wir dürfen uns auch heute wieder trauen, falsche Lehre als solche offen anzusprechen. Wir dürfen lauter und klarer auf den oben genannten Kernwahrheiten bestehen und deutlicher sagen: Diese Kernwahrheiten zu verändern, aufzuweichen oder zu subjektivieren (das heißt: sie der persönlichen Beliebigkeit zu überlassen), ist nicht nur unevangelikal sondern wirklich unbiblisch. Diese apologetische Arbeit ist nicht immer angenehm. Aber sie ist ein unverzichtbarer Bestandteil einer verantwortungsvollen christlichen Leiterschaft, um den Gläubigen und den christlichen Gemeinden Orientierung zu geben.

Noch wichtiger ist es aber, dass wir offensiv, leidenschaftlich, mutig und missionarisch das tun, was uns als Botschafter an Christi statt aufgetragen ist: Hingehen zu den Menschen. Taufen. Und sie mutig alles lehren, was uns von Jesus in der Bibel überliefert ist. Eine evangelikale Bewegung, die nicht mehr verwurzelt ist in der biblischen Lehre Jesu, kann nicht bestehen. Wir Evangelikalen waren immer eine Gebets- und eine Bibelbewegung. Das war und das bleibt die Grundlage unseres einzigartigen Erfolgs. Gerade jetzt, wenn uns der Gegenwind wieder stärker ins Gesicht bläst, dürfen und müssen wir deshalb wieder ganz bewusst evangelikaler werden.


[1] Thorsten Dietz: „Postevangelikalismus: Eine Hinführung“, 1.2.2021, Online unter: www.reflab.ch/postevangelikalismus-eine-hinfuehrung/

Siehe auch zu diesem Thema:

Dieser Blog-Beitrag von Markus Till erschien zuerst auf aufatmen in Gottes Gegenwart . Lies hier den Original-Artikel "Sind die Evangelikalen in der Krise?".

Über Dr. Markus Till

Evangelisch landeskirchlicher Autor, Blogger und Lobpreismusiker mit pietistischen Wurzeln und charismatischer Prägung

23 thoughts on “Sind die Evangelikalen in der Krise?

  1. Aus meiner Sicht hat sich der Begriff evangelikal überlebt:
    – die evangelikale Bewegung hat sich in den letzten Jahren theologisch so stark auseinander differenziert hat, dass von keiner evangelikalen Theologie mehr gesprochen werden kann
    – es kommt nicht auf Begrifflichkeiten an, sondern auf die geistliche Substanz. Ich muss mich nicht evangelikal nennen, um an die Wahrheit der Bibel zu glauben. Wir brauchen keine Namensschublade um an Jesus glauben zu können, sondern Leben mit ihm

    Deshalb läuft aus meiner Sicht der Ansatz von Dietz in die Leere, weil er wegen der starken theologischen Ausdifferenzierung mit seinen Thesen jeweils nur einen Teil der „Evangelikalen“ trifft. Auch der Begriff Postevangelikale ist mehr als seltsam. Wenn man nun liberal sein will kann man sich doch liberal nennen. Kommt der der Begriff etwa nur deshalb ins Spiel weil man den restlichen Konservativen ihre Haltung vollends schlecht machen will? Aus meiner Sicht lohnt sich die Beschäftigung mit diesen Thesen nicht: mir ist es letzten Endes egal und muss mir auch egal sein ob man mich als evangelikal, bibeltreu oder sonst was. Ich bin erlöst, sein Kind und das ist das wichtigste. Wie das nun heißt ist einfach egal

  2. Immer das gleiche, ….soll doch jede Gemeind für sich ihr Süppchen kochen, und vor allem die ganz normalen Gemeindemenschen zu Wort kommen lassen, da kommt mehr bei raus als bei dem ewigen Hickhack der Theologen. Bei den Theologen nimmt das eh kein Ende, sie reißen und zerreißen…wofür?
    Die einfachen Jesus- Nachfolger können den Glauben mit verständlichen Worten erklären und so auch einen Einblick in ihr Leben, wie sie Nachfolge praktisch erleben, geben, das täte den Gelehrten auch ganz gut, vielleicht können sie dann auch mal in die richtige Richtung denken und nicht immer alles verkomplizieren.

  3. Der Herr Luther wollte doch angeblich zurück zu einem Urchristentum ohne die Fehler der katholischen Kirche. Nur hat er selber haufenweise Fehler gehabt. Es ist ihm am Ende auch nicht gelungen wie er selber einmal eingeräumt hat.
    Ein Problem der Evangelischen: Es gibt im Gegensatz zu den Urchristen samt Aposteln keine Autoritäten mehr, es gibt keine verbindliche Lehre, da können jetzt die Gofys, die Dieners, die Dietz’s und viele andere ihre „Weisheiten“ verzapfen samt der selbsternannten amerikanischen „Propheten“.

    Bei den Katholiken ist es offiziell noch anders, nur halten sich viele auch nicht mehr and das, was verbindlich gelehrt und vorgegeben wird und der weißgekleidete Mann in Rom verwässert nach und nach selber vieles samt manchen seiner Bischöfe. Man könnte sagen: ein Zeichen der Endzeit.

    Gibt es jemand wie Katharina von Siena, die ihr Leben für die Kirche gegeben hat?

  4. ECHTER christlicher Glaube ist die „Religion des Hier & Jetzt“ und nicht der Jenseitsvertröstung (gleichwohl das Leben nie ein Ende hat). Echter Glaube ist LEBEN, d.h. er verwandelt mein Leben, indem er immer mehr innere Befriedigung (sodass man diese immer weniger im Außen sucht, Joh. 6,35), und Erkenntnis der Wahrheit schenkt und so das Gemüt immer mehr aufhellt, was auch gesundend auf den Leib wirkt.

    Bevor also das Evangelium weitergesagt wird, muss es GELEBT werden. Denn nur derjenige, der ERFÄHRT, kann Zeugnis ablegen. Im anderen Fall redet man nur ÜBER den Glauben, und hat, da man KEINE ERKENNTNIS hat, nur die Möglichkeit zu spekulieren und da kommt dann eben der STREIT heraus, der überhaupt nicht konstruktiv ist. Denn wie wollen alle NICHTWISSER auf einen Nenner kommen? – Weder evangelikal, noch postevangelikal oder liberal ist von Bedeutung, sondern nur das immer mehr ERLÖSTWERDEN durch echten Glauben. Dann regeln sich alle anderen Fragen von ganz allein!
    Aus der Quelle für Jedermann:
    https://manfredreichelt.wordpress.com/2018/01/03/erloest-leben/

  5. Ja, das ÜBER-den-Glauben-Reden und das möglichst stundenlang, sei es von Professoren oder Pastoren oder wem auch immer, ist heute sehr, sehr verbreitet. Es hilft aber wenig und ist am Ende oft auch nur langweilig.
    Ich denke, das ist zumeist auch nur Selbstdarstellung.

  6. Bebbington und seine Definition hin oder her, der Begriff Evangelikal ist in eine Beliebigkeit abgerutscht, oder er war nie richtig definiert, und jeder hat seine eigenen Interessen da hinein interpretiert.
    Auch die allwissende Müllhalde hat da keine passende Antwort zur Begriffsdefinition https://de.m.wikipedia.org/wiki/Evangelikalismus , aber erwähnt recht früh im Artikel „Zentral ist ebenso die Berufung auf die (zumeist als irrtumsfrei und unumstößlich angesehene) Autorität der Bibel.“ Wie passt dann ein „Come-In“ dazu? Oder eben andere menschengemachte Lehren wie Frauenordination? Das ist weder konservativ noch biblisch / bibeltreu.

    Ich bezeichne mich selbst nicht als evangelikal und will da auch nicht als zugehörig betrachtet werden, denn damit würde ich mich mit Menschen an ein gemeinsames Joch hängen, deren theologischen Ansichten ich in weiten Teilen nicht teile. Und von daher ist es mit recht egal, ob der Evangelikalismus in einer Krise steckt, in den Postevangelikalismus abrutscht oder was auch immer da unter Einwirkung des Zeitgeistes passiert.

    Wichtiger ist mir da die Gemeinde vor Ort, und dass dort eine gesunde Lehre vorhanden ist.
    Gewisse Themen habe ich ausdiskutiert, da gibt es nach meinem Dafürhalten keine Argumente mehr, die mich von meiner Auffassung weg bewegen könnten (also Themengebiete wie z.B. Sexualethik, Verantwortung von Mann und Frau in der Gemeinde, usw.). Und nach vielen Diskussionen und der Trennung von einer Gemeinde, bei der einige in der Selbstdarstellung von „evangelikal“ schwafeln, aber „Beliebigkeit“ meinen, will ich nicht unfreiwillig unter einem „Dachbegriff“ in eine Wiedervereinigung geraten.

    Von daher: falls jemand den „Evangelikalismus“ (was auch immer das ist) in einer „Krise“ (welche auch immer) sieht – das geht mir irgendwie nicht so richtig nahe. Und ich halte es für Zeitverschwendung, darüber Artikel oder gar Bücher zu schreiben oder diese zu lesen. Was ich leider jetzt doch getan habe.

  7. Noch kurz zwei Ergänzungen:
    – Weder unseren Vater im Himmel interessiert es wie ich mich nenne noch meinen ungläubigen Mitmenschen, der von den ca. 1,3 Mio „Evangelikalen“ noch nie was gehört hat sondern interessiert sich dafür wie ich lebe.
    – Und: Warum arbeiten sich Worthaus, Hossa Talk und Diener ständig an den konservativen Christen ab? Wenn sie aus Überzeugung liberal sein wollen hält sie doch keiner davon ab. Ich ziehe doch auch nicht laufend über liberale Christen her. Zimmer und andere aus diesem Bereich waren einmal so überzeugt bibeltreu, dass ich das Benennen mit „postevangelikal“ schon fast so interpretieren muß, dass es ihnen schwerfällt ihren kindlichen Glauben verloren zu haben und dies nun rechtfertigen müssen. Warum können sie dann nicht einfach ihren Glauben leben. Wenn man sich ständig so differenzieren muß hat man doch ein Problem 😉

  8. Das ganze Christentum ist in der Krise, nicht nur die sog. Evangelikalen, vielleicht mit Ausnahme von Afrika, aber dazu kann ich wenig sagen, da ich, das Christentum in Afrika kaum kenne.

    Heute liest man wieder bei T-online wie die Homopressuregroups ihre Hinterladerideologie überall durchsetzen wollen, obwohl sie ja nur eine kleine Minderheit sind. Und auf diese fallen auch Christen herein, die man bisher bei den Evangelikalen verortet hat. Von den evangelischen Landeskirchen braucht man gar nichts mehr erwarten. Da ist der Abfall schon lange sichtbar und zwar in vieler Hinsicht. Übrig bleibt bei denen dann in Bälde nur noch ein Sozialverein mit christlicher Tünche.

  9. https://web.archive.org/web/20140112094624/http://www.ead.de/nachrichten/nachrichten/einzelansicht/browse/46/article/steeb-unterstuetzung-der-homo-bewegung-schwaecht-das-vertrauen-in-die-politik.html?tx_ttnews=440&cHash=d72e82b4d5

    „Mehrheit passt sich dem Lebensgefühl einer Minderheit an

    Seinen Schreiben hat Steeb einen Essay des württembergischen Kirchenrats i.R. Hans Lachenmann (Satteldorf bei Crailsheim) beigefügt. Darin wird am Beispiel des Siegeszugs der Homosexuellenbewegung die Ideologieanfälligkeit der modernen Gesellschaft aufgezeigt. Lachenmann: „Aus einem Programm einer Minderheit, die vor Diskriminierung durch die gesellschaftliche Mehrheit zu schützen ist, wurde ein Problem der Mehrheit, die sich dem Lebensgefühl einer Minderheit anzupassen hat.“ Konservative Christen würden von der Homosexuellenbewegung als „Homo-Hasser, Nazis, Faschisten“ verunglimpft.“

  10. Lustig – so wie man „den“ Evangelikalen vorwirft, sie würden nur über Sexualethik reden, so reden Dietz & Co über Evangelikal oder Konservative.
    Mal davon abgesehen, dass beide Gruppen nicht deckungsgleich sind, aber eine Schnittmenge haben und es auch nicht „die“ Evangelikalen oder „die“ Konservativen jemals gab.
    Genauso wenig wie „den“ Islam 😉

  11. Evangelikale kommen zunehmend in die Krise hinein.

    Evangelikale kommen zunehmend aus der Krise heraus.

    Wir dürfen es uns aussuchen.

    Freier Wille!?

  12. Pingback: brink4u
    1. Auch wenn manche lieber Automaten sein wollen, ist das, was ich gesagt habe korrekt. Einem Automaten muss nichts verkündigt oder gepredigt werden. Er muss auch nichts glauben. Er muss nur richtig programmiert werden.
      Wer auf eine solche Programmierung wartet und sich nicht befreit, wird NIE befreit werden, auch wenn er millionenmal betet: „Ja, Herr Jesus“…

      1. Ihr Kommentar zeigt mal wieder Ihr queres Denken. Vom „freien Willen“ (mit Ausrufezeichen) hin zu „Automaten“ kommen, können nur Sie schaffen.
        Ich bete für Sie, dass Sie eines Tages Jesus erkennen werden.

        1. >Ich bete für Sie, dass Sie eines Tages Jesus erkennen werden.< Das ist nicht nötig, schließlich kenne ich ihn sogar viel besser als Sie. Ich bin sogar in seinen Dienst gerufen. Nicht durch irgendeine christliche Sekte, sonder so, um frei für alle wahren Christen oder die es sein möchten, da sein zu können und stets seinem Ruf folgen zu können, ohne auf Traditionen und Befindlichkeiten irgendwelcher Leute Rücksicht nehmen zu müssen.
          Das "quere Denken" ist bei allen jenen zu finden, die keinen Zugang finden, zu dem, was ich veröffentliche. Da sollte man sich lieber zuerst einmal selbst hinterfragen, ehe man das mit einem Berufenem tut.
          Wenn man sogar als Besserwisser auftritt, obwohl man keine Berufung zum Lehren hat, zeugt das nur von mangelnder Demut.

  13. Hmmm, ich habe vergeblich darauf gewartet, dass ein zurück zu Sola Scriptura oder dergleichen kommt. Ein Begriff wie „evangelikal“ interessiert mich nicht. Im Wort Gottes werden wir davor gewarnt, uns nach irgendetwas anderem als dem Herrn zu benennen. „Die Evangelikalen“ sind deswegen so leichte Opfer geworden, weil sie zwischen zwei Reichen verbinden wollen: Dem Reich der Himmel und dem Reich dieser Welt. Der Herr sagt uns das geht nicht.

    Mar 10:15 Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, wird gar nicht hineinkommen!

    Wer von uns glaubt dem Wort einfältig und glaubt noch, dass sich im Wort Antworten auf jede praktische Lebensfrage finden? Wer glaubt, dass es eine praktische Wahrheit gibt und nicht nur eine theoretische?

    2 Tim 3:16-17 Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Belehrung, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes ganz zubereitet sei, zu jedem guten Werk völlig ausgerüstet.

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