Die umstrittenste Frage unter Evangelikalen: Was ist das Evangelium?

Wir Evangelikale tun so, als ob wir uns darüber einig wären, worin das Evangelium besteht. Auf dem Papier mag ich teilweise zustimmen. Gelebt präsentiert sich mir eine komplett andere Ausgangslage. Dies zeigt das aktuelle Beispiel der viel gerühmten Hochzeitpredigt von Bishop Curry bei der Vermählung der Royals letztes Wochenende. Der bekannte kanadische Neutestamentler Donald A. Carson schreibt im Vorwort des wichtigen Buches „Was ist das Evangelium?“, dass dies die umstrittenste Frage unter Evangelikalen darstellt. Hören Sie dazu meinen Podcast „Das Zentrum der biblischen Botschaft“

Kein Haar in der Suppe: Die Hauptsache fehlte!

Alle Welt sah die Trauzeremonie von Prinz Harry und Meghan. Bei allem Schwärmen von der 13-Minuten-Predigt: Ein wichtiger Aspekt fehlte (siehe hier).

Ich sage fast wundervoll, nicht weil ich irgendeine Schwäche innerhalb der Präsentation entdeckte, sondern weil eine grundlegende Wahrheit in seiner Botschaft fehlte – warum Jesus wirklich starb.

Auf dem Höhepunkt seiner Predigt meinte der Bischof von Jesus: ‚Er opferte sein Leben nicht für sich selbst oder für etwas, was er daraus gewinnen konnte. Er tat es für andere, für den anderen, für das Gute und das Wohlergehen anderer. Das ist Liebe.‘

Jesus würde sagen, dass der Bischof die Wahrheit sagte, aber nicht die ganze Wahrheit. Und den Teil, den er ausliess, ist grundlegend zum Verständnis, was Liebe wirklich ist.

Jesus hinterliess uns nicht nur ein Beispiel der Liebe. Er starb, um uns die Sünde und Sünden (Zustand, aus dem Taten hervorgehen, meine Hinzufügung) zu vergeben.

Wenn wir uns anschicken über Liebe zu sprechen, dann müssen wir über die wahre Liebe sprechen: Dass der sündlose Sohn Gottes einen grausamen Tod starb, um das Gericht von Sündern wie dir, mir, Bischof Curry, dem Prinz und der Prinzessin sowie jedem, der zusah, wegzunehmen, das wir alle verdient hätten.

… Jesus würde sagen, dass er von der Botschaft des Bischofs hätte bewegt werden können, wenn es jedoch nicht zum Bekenntnis und zur Busse über die Sünde und zum Anhängen an Jesus durch den Glauben allein führte, dass dann das Gericht Gottes über uns bleiben würde.

Die Predigt einfach stehen lassen?

Dazu riefen viele „Evangelikale“ auf. Hauptsache, viele Zuschauer hätten wieder mal etwas gut gefunden, was in einer Kirche stattgefunden hätte. Nein und nochmals nein: Sie fanden es nur deswegen gut, weil sie eine Botschaft ohne den Kern des Evangeliums hörten! Also etwas, was zwar tadellos präsentiert war und ihre Gefühle traf, jedoch am Wesentlichen vorbeiging.

Wir hören heute leider mehrheitlich ein Evangelium des Selbstvertrauens und damit der Selbsterlösung (hier sehr gut zusammengefasst durch den Kolumnisten David Brooks). Oder wie es David Powlison kraftvoll auf den Punkt bringt:

(Das therapeutische Evangelium) ist so gestrickt, dass es Menschen das gibt, was sie wollen und nicht das verändert, was sie wollen. … Dieses therapeutische Evangelium akzeptiert menschliche Schwachheit und deckt sie zu, versucht die offensichtlichsten Symptome der Not zu verbessern. …

  • Ich will mich geliebt fühlen dafür, wer ich bin; Mitleid bekommen dafür, was ich durchmachen musste; aufs innigste verstanden fühlen, bedingungslos angenommen sein.
  • Ich will das Gefühl erleben, persönlich wichtig und bedeutend zu sein; in meiner Karriere erfolgreich zu sein; zu wissen, dass mein Leben einen Unterschied macht und Auswirkungen hat.
  • Ich will Selbstbewusstsein erlangen; erklären, dass es mir gut geht; ich meine Meinungen und Wünsche durchsetzen kann.
  • Ich will unterhalten werden; Freude fühlen in dem endlosen Strom von Darbietungen, die meine Augen entzücken und meine Ohren jucken.
  • Ich will das Gefühl des Abenteuers, der Spannung, der Aktion und Leidenschaft haben, sodass ich mein Leben als aufregend und bewegend erlebe.

… Dies Evangelium lindert schmerzliche Symptome. Es gibt dir ein gutes Gefühl. Die Logik hinter diesem therapeutischen Evangelium ist eine „Jesus-für-mich“-Haltung, der meinen persönlichen Bedürfnissen und psychischen Schmerzen abhilft. … Man ist nicht länger verantwortlich für seine tiefsten Probleme, sondern nur ein Leidender und ein Opfer unerfüllter Bedürfnisse.

Der erhobene Zeigefinger: Du bist ein Pharisäer

Nun erhebt sich der Standardeinwand: „Die Schriftgelehrten finden ein Haar in jeder Suppe.“ Doch halt. Wie ist der Begriff definiert? Mein Vorschlag in Kürze: „Wer Gesetze über/neben der Bibel hinzufügt, ist Pharisäer. Wer die befreiende Kraft der Liebe in sich verkündet, ist gesetzlich. Er wirft den Menschen auf sich selbst zurück.“ Überlege mit: Wie furchtbar ist denn ein Glaube, dass wir uns selbst durch „Liebe“ retten müssten! Was für eine Bürde und absolut unmöglich! (Mehr in meinem Beitrag „Wer Gottes Gebote über Bord wirft, handelt gesetzlos.“) Damit würde dieser Vorwurf gerade auf den Hochzeitredner zurückfallen

Achte dich mal bei der nächsten Predigt, ob…

  1. der Vortragende ein Ereignis wählt, das emotional anspricht oder gar aufwühlt
  2. eine Rede darüber hält, die damit zu tun hast, dass du dein Leben optimierst.
  3. (direkt oder indirekt) mehrere Anforderungen/Bedingungen nennt, um dies zu erreichen.
  4. Jesus als Vorbild und Booster präsentiert, damit es für dich runder läuft.
  5. du eines oder mehrere Vorbilder aus Geschichte und Gegenwart als Beweis vorgesetzt bekommst, dass es funktioniert.

Treffen insbesondere die Punkte 2-4 zu? Dann sitzt du in einer Veranstaltung, in der ein von Menschen aufgestelltes Gesetz und nicht das Evangelium verkündigt wird. Und weil das auch in vielen Freikirchen geschieht, sind wir keinen Deut besser dran als die Kirchen vor der Reformation! Ashley Null. Sportseelsorger und Kirchenhistoriker, hat mir die Augen für die Parallelen geöffnet (hier niedergeschrieben: „Die Rechtfertigungslehre und der amerikanische (deutsche) Traum“ „Altes Leben unter neuen Vorzeichen weiterführen?“)

Schwere Bedenken

Es gibt einige weitere schwere Einwände gegen Person und Lehre von Bischof Curry. Man lese:

Über Hanniel Strebel (PhD)

Hanniel Strebel, * 1975, Betriebswirt & Theologe, glücklich verheiratet, fünf Söhne, Blogger - Autor - Selbstlerner

4 thoughts on “Die umstrittenste Frage unter Evangelikalen: Was ist das Evangelium?

  1. Ich stimme den Punkten bezüglich des umgedeuteten Evangeliums ausdrücklich zu.
    Allerdings möchte ich zu bedenken geben, dass es sich bei der Hochzeitspredigt weder um eine theologische Vorlesung, eine Evangelisation noch um eine umfängliche Darstellung des Evangeliums gehandelt hat.
    Kann es sein, dass wir (ich nehme mich hier ausdrücklich nicht aus) oft erwarten, dass EINE Predigt alles sagt, was zum jeweiligen Thema gesagt werden kann?

  2. Ich kann Dir Hanniel nur beipflichten eben aus dem Grund, weil die Predigt so gelobt wurde. Falls nicht so so wäre könnte man sagen, haken wir es ab
    Aber Deine Darstellung beschreibt eben sehr genau das Problem unserer Zeit:
    es gibt eben nicht nur
    Gottes Liebe, sondern auch seine Gerechtigkeit
    Himmel, sondern auch ein ewiges Verderben
    schweben auf Wolken, sondern auch Schwierigkeiten
    Zustimmung, sondern auch Widerspruch usw.
    Vor allem ab den 70 er Jahren wollte man in manchen Kreisen das volle Evangelium verkündigen und dachte da an viele Wunder. Wo sind wir nun heute angelangt

  3. Eine Predigt kann vieles sagen; aber hören kann der Mensch erst dann, wenn Gott redet. Also muß man nicht in allem zu viel Gewicht reinlegen, es ist noch immer so, das Gott selbst zur Nachfolge ruft und den Menschen zur Umkehr bewegt.
    Oder, kann denn der Glaube nur noch funktionieren, wenn die Predigt gut und treffend ist? die beste Predigt macht noch keinen Christen. Vielleicht reichts zum nachdenken, das ist auch gut, doch jeder (vor allem Christen) müssen mitdenken und nach der Wahrheit in Christus suchen, sie liegt ja nicht in ihm selbst, auch nicht im Prediger, sondern in Christus.
    Ein Säugling der sich satt getrunken hat; schläft, wer von der Predigt satt geworden ist, brauch nicht mehr selberdenken, der wird auch glaubensmüde.
    Weniger kann auch mal mehr sein. Es muß wieder Raum geschaffen werden zum selberdenken, auch sollte dem Heiligen Geist mehr zugetraut werden, als nur seine Anwesenheit.

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