Auf den ersten Blick könnte man meinen, die sogenannten „sozialen Medien“ würden die Demokratie stärken. Jeder, der möchte, kann sich anmelden, kann mitreden und am Dialog teilhaben, der da stattfindet. Vor diesen Medien war das Internet eine einseitige Sache: Wer es konnte, stellte Content online, andere konsumierten ihn. Austausch fand via Online-Formulare und e-Mail statt. Mailing-Listen und rudimentäre Online-Foren waren Vorläufer der Social Media.
Darauf folgten erste Content-Management-Systeme (CMS), die das Erstellen und Pflegen von Inhalten erleichterten und quasi jedem zugänglich machten. Ich erinnere mich noch gut an meine ersten Versuche mit Mambo (später Joomla!) vor 17 Jahren. In einem aufwendigen Backend lassen sich AddOns wie Gästebücher, Formulare, Foren, Bildershows und vieles mehr sowie eine komplexe Benutzerverwaltung mit verschiedensten Rechten einrichten. Aus solchen Websites entstanden Communities („Gemeinschaften“) von Menschen mit ähnlichen Zielen oder Interessen, welche dann wiederum durch Wachstum zu den „sozialen Medien“ mutierten.
Diese „Mutanten“ lassen sich heutzutage kaum noch aus dem Leben vieler Menschen wegdenken. E-Mails werden durch „Nachrichten“ oder „DMs“ ersetzt, man kann in Echtzeit sehen, wer was schon gelesen hat, man kann sich bei Inhalten bestimmter Freunde noch speziell informieren lassen, und vor allem: Man ist immer nah an den „Trends“. Algorithmen durchsuchen die Medien und informieren ständig über die Begriffe, die gerade häufig benutzt werden. Beiträge mit vielen Interaktionen werden besonders belohnt, indem sie an zentralen Stellen erscheinen und dadurch noch mehr Aufmerksamkeit erlangen.
Was nun aber automatisch passiert, ist Folgendes: Diese Algorithmen sind nämlich Teil der „Künstlichen Dummheit“ (naive Nasen nennen das auch „Künstliche Intelligenz“, aber dazu sind mir die Funktionsweisen jener Formeln und Programme zu simpel – auch wenn sie lernen können, aber auch der „Pawlowsche Hund“ lässt sich dazu konditionieren; der frühste Moment, in welchem ich bereit bin, etwas „Künstliche Intelligenz“ zu nennen, wäre dann, wenn sich das Programm aus ethischen Gründen weigert, den Befehl seines Programmierers auszuführen) was also diese Algorithmen in den Sozialen Medien machen, ist eine Selbstverstärkung, die zur Übersteuerung führt. Und weil in den „Sozialen Medien“ vor allem negative Schlagzeilen viel Aufmerksamkeit bekommen, funktionieren diese Algorithmen als Verstärker der negativen Schlagzeilen – man nennt das dann „Shitstorm“ – und so werden die „Sozialen Medien“ plötzlich zu asozialen Medien. Es wird nur noch der lauteste Wetterer bemerkt, und weil man sich in dem Gepfeife der Selbstverstärkung nur noch schreiend bemerkbar machen kann, versuchen immer mehr User, diese Medien mit lauten, polemischen und negativen Schlagzeilen zu füttern, um zu zeigen, dass sie auch noch da sind. Der Benutzer wird – gleich dem Pawlowschen Hund – zur Lautstärke und zur Polemik konditioniert.
Auf den ersten Blick könnte man meinen, die sozialen Medien würden die Demokratie stärken. Für Länder mit Diktaturen ist das tatsächlich mitunter der Fall. Im freien Westen hingegen sind sie mitverantwortlich für eine Krise der Demokratie. Der größte Politclown unserer Zeit, Donald Trump, ist kein „Selfmade Man“, sondern ein „Socialmedia-made Man“, einer, der die gesellschaftszersetzende Wirkung der Social Media verstanden hat und sie auszubeuten weiß. Mit immer neuen absurden Tweets hält er seine Fans und Gegner beständig in Bewegung, Zustimmung und Ablehnung im richtig großen Maße. Er weiß, dass jeder Shitstorm, den er gegen sich selbst zu generieren weiß, nur Vorteile für ihn haben können. Sie halten ihn in aller Munde. „All PR is good PR“, weiß der Amerikaner.
Gerade die selbstverstärkende Funktion der sozialen Medien machen aus einem demokratischen Instrument ein demokratiegefährdendes Instrument. Jeder kann sich anmelden, jeder kann mitreden, das sind gute Eigenschaften. Aber Empörung schlägt höhere Wellen als Zustimmung. Deshalb gibt es auch keine Anti-Shitstorms. Der Empörte greift viel schneller zu seinem Gerät, um die Empörung loszuwerden als jener, welcher im Grunde zustimmt. Zustimmung behält man eher für sich, Ablehnung äußert man. Und so sind Shitstorms auch nur pseudodemokratische Machtmittel, das dazu dient, mehr oder weniger absichtlich einem Menschen langfristig großen Schaden zuzufügen. Am Shitstorm „teilnehmen“ kann nur, wer in den sozialen Medien angemeldet ist, wer zur Zeit des Shitstorms gerade eingeloggt ist und wer dem Shitstorm zustimmt (bzw. mit-empört ist). Es gibt bis dato keinen Button, mit welchem man sich aktiv gegen einen Shitstorm äußern kann. Diese Äußerung muss viel aufwendiger mit einem eigenen schriftlichen Text erfolgen und hat kaum Chancen auf allzu weite Verbreitung.
Gibt es ein Gegenmittel? Gute Frage. Auf jeden Fall sollte man sich gut überlegen, an welchen Stürmen man teilnehmen will. Der Knopf ist sehr schnell gedrückt, der Empörung weiterverbreitet. Habe ich mich wirklich so gut damit beschäftigt, dass ich jetzt jemandem für seine Äußerung Schaden zufügen kann und will? Diese Frage sollte unseren Finger in manchen Fällen etwas bremsen. Auch die Frage, ob mir der Konsum bestimmter sozialer Medien so gut tut, ist eine Überlegung wert. Ich möchte hier nicht grundsätzlich vom Gebrauch der sozialen Medien abraten. Ich persönlich habe im letzten Sommer bei Facebook die Reißleine gezogen und nach einer vorbereitenden Zeit von rund 10 Monaten davor mein Profil stillgelegt. Weil ich merkte, dass es mir zur Zeit nicht gut tut. Dennoch bin ich überzeugt: Wir Christen gehören überall hin, wo Menschen sind und wo wir ihnen ein Segen sein können.
Das wertvollste Gegenmittel besteht darin, dass wir eine Kultur der Anerkennung schaffen – oder zumindest zu schaffen versuchen. Statt negativer Schlagzeilen einfach mal schreiben, wofür wir dankbar sind. Einfach mal sagen: Der macht seinen Job gut! Die ist mir ein Vorbild! Davon möchte ich mir eine Scheibe abschneiden! Das habt ihr super gemacht! Vielleicht schaffen wir es dann doch irgendwann noch, einen Lobessturm statt einem Scheißesturm auszulösen. Das wäre doch mal was, oder?
Der Beitrag Asoziale Medien, künstliche Dummheit und die Krise der Demokratie erschien zuerst auf Jonas Erne – Blog.
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In meinem Umfeld beobachte ich das so, dass es auf der einen Seite viel Shitstorms gibt, aber eben auch genauso viele Bereiche wo keine Kritik erwünscht ist. Es sind Dinge alternativlos und positives Reden triftet in Lobhudelei ab. Deshalb ist der entscheidene Punkt , nicht mehr Positives mit allen Mitteln zu verbreiten, sondern von Jesus abhängig zu sein und in meiner Wortwahl auch im Netz das richtige Maß zu finden bei Lob und bei Kritik. Die Händler im Tempel hat Jesus z.B nicht gelobt. Kritik dosiert anzubringen und mit Kritik an der eigenen Person richtig umzugehen ist eine Kunst. Mittlerweile herrscht da eine massive Wehleidigkeit wenn Kritik ausgeübt wird. Erlauben wir es noch, wenn wir ermahnt werden wie die Schrift es fordert oder sind wir dann gleich beleidigt?
Vielleicht werden die (a-)sozialen Medien und die Shitstorms auch einfach nur zu ernst genommen?
Ich kenne kaum jemand in meinem Bekanntenkreis, der in diesen Netzen aktiv ist. Ich selbst treibe mich überwiegend nur auf zwei bis drei Seiten / Foren herum, in denen es um meine weltlichen Hobbys geht, zzgl. einige christliche Webseiten – also nix Twitter, Fratzenbuch usw.. Ich kenne keine Influencer bei Youtube oder Instagram, und möchte diese auch gar nicht kennen. Dazu lese ich noch ein paar wenige Blogger (links und rechts, ich will beide Seiten hören), und erst von diesen erfahre ich, was gerade so in der „Szene“ abgeht.
Mein Empfinden: es gibt dort ein paar hundert bis tausend Schreihälse, die ihre Shitstorms lostreten, Medien und leicht beeinflußbare Politiker damit zuschütten, und damit wird etwas aufgebauscht, was gar nicht das Problem der großen Mehrheit ist. Wenn laut nach dem Klo für das undefinierte Geschlecht geschrien wird, kommt das dann eher bei den Politikern an als der marode Zustand von Schulgebäuden.
Hätte es die Causa Rentzing überhaupt gegeben, wenn sich nicht ein paar dutzend Shitstormer (vornehmlich aus der linken Ecke, auch die der theoligischen Linken) damit profiliert hätten? Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn sich derjenige durchsetzt, der am lautesten schreit?
Galt früher in der Erziehung „Wer schreit, hat Unrecht“, so leitet der Schreihals heute einen Anspruch auf Gehörtwerden, Deutungshoheit und Meinungsführerschaft ab. Und wer davor nicht einknickt, ist automatisch Nazi und „kein Demokrat“, bzw. wird dazu erklärt. Und so stirbt die Demokratie zugunsten eines Meinungsterrors.
Lieber Jonas, von ganzem Herzen Dank für diese hochaktuelle
Ist-Analyse der Gegenwart.
Ich halte Ihren Beitrag aktuell für einen der wichtigsten überhaupt.
Ein riesiges Betätigungsfeld und Bestätigungsfeld gerade auch für gegenwartsbezogene Christen.
Wir brauchen jetzt erst recht tiefsinniges christlich-ethisches Brainstorming um asozialem Shitstorming klug entgegen zu wirken.
Dazu passend und brandaktuell eine öffentliche Aktion des Evangeliumsrundfunks ERF:
https://www.erf.de/schwerpunkte/zeit-fuer-eine-neue-streitkultur/38788?fbclid=IwAR0XUc8-Xtn9QwI6r7z4PqSDB6h6R2EoCI578KuCQTdWT7YyU5aNRjtMN2Y