Wekwerth, Rainer, Thariot, Pheromon, Thienemann-Esslinger Verlag, 2018, 416S.,Kindle-Edition, Verlagslink, Amazon-Link
Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar!
Wie könnte die Welt in 100 Jahren aussehen? Wekwerth und Thariot haben sich mutig dieser Frage gestellt. Als Ergebnis liefern sie mit „Pheromon“ einen interessanten Thriller. Alles beginnt mit Jake, der plötzlich eine Veränderung an seinem Körper feststellt. Ob das mit der Pubertät zusammenhängt? Plötzlich kann der Heuschnupfengeplagte über weite Strecken hinweg riechen. Seine Nase kann die Gefühle seiner Mitmenschen wahrnehmen. Seine Augen sehen plötzlich ohne Brille und Kontaktlinsen wieder ganz gut. Oder gar noch etwas dreidimensionaler. Und dann ist da auch noch die gutaussehende Serena, die ihn zu ihrer Party einlädt. Hundert Jahre später, anno 2118, lebt Dr. Travis Jelen, der als Arzt gerade für die Obdachlosen und Armen seiner Zeit arbeitet. Eines Tages begegnet er Lee, einer jungen schwangeren Frau, die er untersucht. Seine Geräte zeigen plötzlich eine Fehlermeldung: Keine menschliche DNA. In beiden Zeiten führt die Spur zu der 2015 gegründeten Firma „Human Future Project“, die sich als richtig imposant herausstellt und weltweit nur positiv wahrgenommen agiert. In den 100 Jahren hatte sie es geschafft, ein Wurmloch herzustellen, in welchem die Raumzeit derart gekrümmt werden kann, dass es Außerirdischen möglich wurde, die Erde im Inneren des HFP-Gebäudes zu betreten. Ist es jetzt noch möglich, die Invasion zu verhindern? Die Zeit läuft davon.
Thariot und Wekwerth haben sich einer Frage angenommen, die mich schon längere Zeit interessiert – wie entwickelt sich unsere Zeit weiter? Was kommt nun, nachdem der Postmodernismus längst kollabiert ist und sich verschlungen hat? Welche technologischen Fort- (oder teilweise auch ethischen Rück-)schritte sind noch denkbar? Sie haben manche Antworten in Romanform geliefert, was sehr interessant zu lesen war. Ich möchte mich dem Roman von zwei Seiten her nähern. Von der Erzählung her gesehen ist es eine super Arbeit, die die beiden mit ihren zwei Zeitsträngen geliefert haben. Die Geschichte ist (für mich als Fan der Thriller-Literatur) nicht unbedingt so unter die Haut gehend, dass mich das Buch nicht mehr schlafen lässt oder dass ich es nicht aus der Hand legen konnte. Es ist aber kurzweilig und für SciFi im großen Ganzen recht spannend. Die Geschichte liest sich gut abgerundet und in sich schlüssig. Einzig die Charaktere wirken etwas hölzern und unvollständig. Irgendwie konnte ich mich in keinen davon so richtig hineinversetzen, was mir üblicherweise doch schnell gelingt. Dies liegt daran, dass die Story eigentlich Stoff für ein Buch in der dreifachen Länge bietet und von jeder Person nur genau das präsentiert wird, was für den weiteren Verlauf der Geschichte zwingend zu wissen notwendig ist. Das macht die Story deshalb auch mit der Zeit etwas durchschaubar. Alles wird künstlich so kurz wie möglich gehalten. Und ja, mit gerade mal etwas über 400 Seiten ist es auch ein kurzes Buch. Vermutlich hätte man mit mehr Mut zur Länge noch mehr aus der Story herausholen können.
Ein zweiter Blick von einer anderen Seite: Wie stellen sich die Autoren die Veränderungen der nächsten 100 Jahre vor? Sie zeichnen ein Bild von einem ziemlich ohnmächtigen Überwachungsstaat. Vermutlich würde eine realistischere Vorstellung eines solchen Überwachungsapparates die Story deutlich erschweren. Aber wenn Travis im Jahre 2118 ungesehen ins Büro seiner Chefin bei HFP eindringen kann, dann muss ich also doch lachen. Immer wieder finden sich unbewachte oder unüberwachbare Flecken auf der Karte des Jahres 2118, während man davon ausgehen kann, dass zumindest die technischen Möglichkeiten dazu in spätestens der Hälfte der Zeit vorhanden sein wird. Auch sonst sind die technischen Fortschritte nicht gerade überwältigend. Als große Neuerung lässt sich der „Gleiter“ nennen, eine Art kleines Fluggerät, welches das Auto ersetzt hat. Interessant wären jedoch noch mehr Gedanken in Richtung „Mixed Reality“ und Hirn-Computer-Schnittstelle („brain-computer-interface“) gewesen, denn damit tun sich noch ganz neue Szenarien auf, die eine Vermischung von virtueller und nichtvirtueller Realität zuließen. Insgesamt gehen die Autoren davon aus, dass auch in 100 Jahren noch dieselben Probleme herrschen werden. Insgesamt hat mir der dystopische Charakter der Erzählung aber gut gefallen. Am Ende blieb mir nur noch die Frage: Ist der Titel „Pheromon“ wirklich passend? Pheromone spielen eine Rolle, ja, aber insgesamt eine relativ untergeordnete.
Fazit: Ein solider, spannender SciFi-Roman, der viele interessante Fragen auf eine unterhaltsame Weise beantwortet, aber insgesamt auch länger hätte ausfallen dürfen. Um der Kürze willen werden die Charaktere aufs Nötigste zusammengekürzt. Die Story ist aber sehr lesenswert geschrieben. Ich gebe dem Roman vier von möglichen fünf Sternen.
Dieser Blog-Beitrag von Jonas Erne erschien zuerst auf Jonas Erne - Der Blog . Lies hier den Original-Artikel "Buchtipp: Pheromon".