„Denn wo ist so ein herrliches Volk, dem Götter so nahe sind wie uns der Herr, unser Gott, sooft wir ihn anrufen?“ (5 Mo. 4,7)
Ich beschäftige mich derzeit mit der Geschichte Roms und stieß in Propyläen Weltgeschichte über diese Aussage über die Etrusker, ein in der Frühzeit Roms (ca 5-3 Jh. vor Christus) prägendes Volk Italiens (aus Band 4, S42 „Rom und Italien“):
„In den letzten Jahrhunderten der etruskischen Geschichte stoßen wir auf eine bemerkenswerte Veränderung in der Haltung zum Jenseits. Die Furcht vor dem Tode hatte den Menschen gepackt. Die Unterwelt setzte nicht mehr das heitere Leben des Diesseits fort, sondern wurde, wohl unter dem Einfluss griechischer Vorstellungen, zum dunklen, finsteren, von grausamen Dämonen bewohnten Hades. Diese neue religiöse Grundhaltung entsprach gewiss dem allgemeinen politischen Niedergang der etruskischen Welt“
Die Etrusker, so lernte ich, hatten ein sehr positives Verständnis vom Jenseits. Entsprechend bauten sie ganze Nekropolen, Totenstädte und begruben ihre Toten in Häusern, die mit allem ausgestattet waren, damit die Heiterkeit auch nach dem Tod weitergehen kann. Als aber der Konflikt mit den Römern und Galliern weiterwuchs und die Wirtschaft nicht mehr so florierte, änderte sich neben den Erwartungen an das Jenseits auch das Gottesbild.
Das brachte mich ins Grübeln: „Ist mein Gott bloß ein Abbild meiner Vorstellungen?“ Ist mein Gott Liebe und mich erwartet ein freudiges Jenseits, wenn es mir gut geht und ist mein Gott voller Zorn und ich erwarte voller Furcht und Zittern das Gericht, wenn es mir schlecht geht?
Solche törichten Überlegungen durchstreicht die Bibel mit ihrer Lehre von der Selbstoffenbarung Gottes. Beachten wir, wie der Hebräerbrief anfängt: „Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er zuletzt in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn“. Die Bibel lehrt, dass wir Gott nur deswegen kennen, weil er sich selbst offenbart. Ohne seine Offenbarung würden wir nicht einmal wissen, wie wir Gott ansprechen sollen. So erklärt es Gott Mose: „Und Gott redete mit Mose und sprach zu ihm: Ich bin der Herr und bin erschienen Abraham, Isaak und Jakob als der allmächtige Gott, aber mit meinem Namen »Herr« habe ich mich ihnen nicht offenbart“ (2. Mose 6,2-3).
Tatsächlich schützt Gott seine Selbstoffenbarung, er verbietet seinem Volk sich Gott, ja ihn als den lebendigen und wahren Gott, so zu denken, wie es „ihren Gedanken“ recht dünken würde. Das zweite Gebot, kein Bildnis von Gott zu machen, lässt grüßen.
Dass Gott sich Menschen offenbart ist eine unerwartet gnädigliche Herablassung. Ohne diese denken wir uns einen olympischen Götterhimmel aus, persönliche Wesen ebenfalls verstrickt in Sünde oder einen Urbeweger aller Dinge, ein Gott Platos, der seiner Schöpfung eigentlich müde ist. Was bleibt sonst? Wir hätten noch Buddha zu bieten, unzählige weitere Gottheiten aus dem Osten (und Westen) und schließlich so jemanden wie Allah? Nach all dem Katalog bleibt der Ausruf mit dem Psalmisten: Denn wo ist ein Gott außer dem Herrn oder ein Fels außer unserm Gott? (Ps. 18,32)
Oder vielleicht ist jemand gar so ehrlich wie die Athener und gesteht, dass er es eigentlich mit einem Unbekannten Gott zu tun hat. Mich bekümmert, dass wir als Christen diesen Altar der Athener als eine besondere Errungenschaft feiern, als hätte Paulus nicht predigen müssen: „Gerade diesen unbekannten Gott verkündige ich euch!“
Mir scheint, dass wir das kostbare Geschenk der Offenbarung Gottes nicht mehr wertschätzen. Wir haben sie ersetzt mit unterschiedlichen schwachen Konstrukten. Ich beobachte auf unterschiedlichen Ebenen, wie viel wir verlieren, wenn wir die Selbstoffenbarung Gottes vergessen, und wie viel Solides und Robustes wir gewinnen, wenn wir die Selbstoffenbarung Gottes neu entdecken.
- Einst konnte man den Feuereifer für die weltweite Mission dadurch entfachen, dass man darauf verwies, dass die Völker ohne das Evangelium verloren gehen. Doch immer mehr setzte sich dieser törichte und verfluchte Irrglaube durch, dass jene, die Gott nicht kennen, doch vielleicht einen Weg zu Gott finden… Wie sollen sie denn diesen finden? Sollte Gott Götzendienst gutheißen? Sollte Gott sich damit zufriedenstellen, dass wir Allah anbeten oder Buddha oder einen „unbekannten Gott“? Wenn wir doch recht wertschätzen könnten, dass uns die Selbstoffenbarung Gottes überhaupt erst zum rechten Gott führt!
- Ich sehe auch die persönliche Ebene. Immer wieder hört man z.B. von Menschen mit einem zerrütten Verhältnis zu ihrem Vater, wie es denn sein könne, dass sich Gott als Vater bezeichnet. Wie nah hier doch die befreiende Lösung liegt: Nicht die Rolle des physikalischen Vaters definiert Vaterliebe, sondern die Liebe Gottes zu seinem Sohn (und seiner Schöpfung) zeigen darauf, wie Vaterliebe aussieht.
- Ich finde die Selbstoffenbarung Gottes gibt auch Gelassenheit. Ich sehe das z.B. gegenwärtig bei der progressiven Theologie. Da wird die Annahme der LGBT-Bewegung gefeiert als Umkehr zur Liebe Gottes und plötzlich steht man als konservativer Christ „in der Verteidigung“. Dabei müsste doch das „progressive“ (in welche Richtung bloß?) Lager erklären, was den der Auslöser für die Neupositionierung war. Warum dachte man noch wenige Jahre zurück ganz anders in diesen Fragen? Welche Offenbarung ist dazugekommen? Diese Fragen wird man auch kaum beantworten wollen, da sie belanglos sein dürften (nicht für mich, für mich sind sie elementar). Die Ursache dafür ist in meinen Augen diese: Wer die Offenbarung Gottes gering schätzt, schert sich auch nur wenig über Veränderungen im eigenen Gottesbild. Was hier zählt ist nicht die Selbstoffenbarung Gottes, sondern meine eigenen Gedanken über Gott. Solange diese mit „guter Absicht“ erstellt werden, so scheint man zu meinen, wird Gott schon zufrieden sein. Das etwas abwegig klingende Beispiel habe ich hier gewählt, weil es deutlich macht, dass gerade die Frage nach der Zuverlässigkeit der Selbstoffenbarung die entscheidende Trennlinie von Orthodoxem Christentum zum Modernismus ist.
Neben diesen Beobachtungen, ziehe ich aber auch mindestens zwei Schlussfolgerungen:
- Die Offenbarung Gottes seiner Selbst ist immer größer, als was ich mir, auch mit der größten Mühe vorgestellt hätte. Auf das rechte Ende wäre ich nie gekommen. Wo wird das deutlicher als in der Offenbarung Gottes in seinem Sohn. Wer hätte sich gedacht, dass ein schändlicher Verrat, ein ungerechter Prozess und eine beschämende Kreuzigung uns Gottes Liebe offenbaren? Alles, nur nicht das! Und doch, wo finden wir Gott am deutlichsten, als in der Geburt, im Leben, im Sterben und in der Auferstehung seines Sohnes?
- Gottes Offenbarung wird wahr sein auch wenn sie mir nicht zusagt: Bleibe am Kreuz stehen, Bruder! Das was du dort siehst, ist nicht angenehm. Die Fakten sprechen für die gelehrte Elite Israels, die spottend am Kreuz vorbeigeht! „Er hat Gott vertraut, der helfe ihm nun, hat er Gefallen an ihm“. „Was, dieser da wollte den Tempel in drei Tagen aufbauen und kann sich nun selbst nicht helfen! Erst wenn er herabsteigt, da könnte man an ihn glauben“. Die Selbstoffenbarung Gottes wird mit absoluter Gewissheit nicht unserem natürlichen Menschen zusagen. Das Fleisch begehrt immer gegen den Geist auf. Irgendetwas ist seit dem Sündenfall in uns seit dem Sündenfall, dass uns Platons „Urbeweger“ oder Zeus oder „den unbekannten Gott“ oder ein sonstiges Hirngespinst angenehmer erscheinen lässt, als den wahren und lebendigen Gott. Das ist die Gnade der Selbstoffenbarung Gottes, dass sie unser verfluchtes (wem dieses Wort zu hart vorkommt, dem sei erklärt, dass ich unter verflucht = unter dem Fluch der Sünde stehende verstehe) Weglaufen von ihm aufhält.
Mir wird beim Schreiben dieser Zeilen klar, wie viel Buße ich tun muss:
- für meine Geringschätzung von Gottes Selbstoffenbarung
- für die zahlreichen Verstöße gegen das zweite Gebot. Mit den Worten des Heidelberger Katechismus: „Gott will, dass wir ihn in keiner Weise abbilden, noch ihn auf irgendeine andere Art verehren, als er es in seinem Wort befohlen hat“
Andererseits ist mein Herz mit Dank für das kostbare Geschenk seiner Offenbarung in seinem Wort erfüllt.